Nachrichten

30 Jahre Jubiläum! Auswertung unserer Kuba-Partnerschaft


5. März 2025

Ein wichtiges Ziel unserer Begegnungsreise nach Kuba ist die Evaluierung der letzten 30 Jahre Partnerschaftsarbeit zwischen dem Centro Martin Luther King und der Arbeitstelle Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung (ehemals Arbeitsstelle Eine Welt) der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens. In den letzten Tagen durften wir schon im Rahmen vieler kleiner Begegnungen im Hof des Centros oder beim Essen an den vielfältigen Erfahrungen unserer Partnerschaft teilhaben. In einem Seminar am Wochenende kamen nun einige der ehemaligen Teilnehmenden der letzten Jahrzehnte noch einmal zusammen, schwelgten in Erinnerungen, reflektierten sie im Kontext aktueller politischer Geschehnisse und wagten einen Blick in die Zukunft.

Blogbeitrag von Miriam Meir

Mystischer Einstieg

Üblich für Seminare im Rahmen der education popular ist der mystische Einstieg in ein Thema. Als deutsche Delegation durften wir die Mitte des Raumes gestalten. Auf einem blauen Tuch – symbolhaft für den Ozean, der uns zugleich trennt und verbindet – legten wir um eine Kerze herum Bilder, Fische und Sterne aus. Christine hatte Fotos aus vergangenen Begegnungen der letzten 30 Jahre mitgebracht. Mit Musik stimmten wir uns in den Austausch ein. Die kubanischen Partner:innen trugen das Gedicht „Por que cantamos“ von Mario Benedetti vor. Wir brachten „Stufen“ von Hermann Hesse ein. In einer Vorstellungsrunde lernten wir die 10 Kubaner:innen verschiedenen Alters kennen, welche vor 5, 10 oder auch über 20 Jahren einmal an einer Begegnungsreise nach Sachsen teilgenommen hatten.

Reflexionen über die aktuelle Situation

Ausgangspunkt unserer Reflexionen war die aktuelle Situation in beiden Ländern. Uns Deutsche bewegten vor allem die Ergebnisse der Bundestagswahlen und der wachsende Rechtspopulismus in Gesellschaft und Kirche. Diese stellen die kirchliche Bildungsarbeit vor neue Herausforderungen, zeigen aber auch deren Bedeutung und Potentiale in einer Institution, die viele verschiedene Gruppen und Perspektiven vereint. Auch auf Kuba sei die Gesellschaft von Spaltungen bedroht. Seit der Pandemie habe sich die Armut der Menschen um ein Vielfaches verschlimmert – immer mehr müssen sogar Hunger leiden. Diese Not sehen zwar alle, doch die Lösungsansätze unterscheiden sich teilweise stark. Da sei es besonders wichtig, Menschen zusammenzuführen und dem Schüren von Feindschaften entgegenzuwirken.

Rückblicke auf die Partnerschaft

Für den Rückblick teilten wir uns in länderspezifische Kleingruppen auf. In Sachsen hatten wir im Vorfeld zu unserer Reise mit ehemaligen Teilnehmenden gesprochen oder sie gebeten, ihre Erinnerungen und Reflexionen auf einer Pinnwand zusammenzutragen. Diese konnten wir nun in die Evaluation miteinfließen lassen. So wurde deutlich, dass die Deutschen vor allem von der Partizipationskultur und der Diversität und Vielstimmigkeit im Rahmen der education popular und der befreiungstheologischen Bibelarbeit viel lernen konnten. Die Bildungskonzepte motivierten sie für ihre eigene Arbeit und weiteten ihren Methodenschatz. Die vielfältigen Vernetzungen des Centro Martin Luther King in Zivilgesellschaft und Politik wurde als sehr bereichernd empfunden und regten die Reflexion über demokratische Beteiligung in einer sozialistischen Gesellschaft an. An den Kubaner:innen selbst blieb ihnen vor allem die emotionale Wärme und die herausragende Gastfreundschaft gut in Erinnerung. Als Barrieren wurde die unterschiedlichen Sprachen und die Zeit zum Übersetzen wahrgenommen.

Auch die kubanische Gruppe nahm sich Zeit zum Teilen ihrer Erfahrungen und zogen daraus Schlussfolgerungen und Lehren. Die Berliner Mauer hatten sie sich früher riesengroß vorgestellt. Als sie in Deutschland davorstanden, wurde ihnen bewusst, dass sie vor allem in ihren Köpfen dieses Ausmaß angenommen hatte. Besonders in Erinnerung geblieben sind ihnen die sozialen Projekte, die sie in Sachsen besuchen durften: ein Hilfsprojekt für Straßenkinder und Drogenabhängige, ein Flüchtlingsheim, eine Werkstatt von Menschen mit Behinderung. Auch der Besuch eines ehemaligen Konzentrationslagers hinterließ bleibende Eindrücke. Vor ihrer Reise hatten sie nicht unbedingt damit gerechnet gehabt, dass es auch in einem so reichen Land wie Deutschland Armut – und zugleich soziale Projekte gebe, welche sich darum bemühen, die Menschen ins Zentrum zu stellen und nicht nur das Kapital. Das stärke sie in ihrer Entschlossenheit gegen eine voranschreitende Kommerzialisierung vorzugehen. Positiv beeindruckt waren sie ebenso von der deutschen Protestkultur. Dass es möglich sei, friedlich an einer Demonstration teilzunehmen, bei der die Polizei zwar anwesend sei, aber nicht eingreife, beeindruckte sie. Zum Schluss drückten sie ihren persönlichen Dank an Christine Müller aus, die den Austausch immer sehr herzlich und mit viel Gastfreundschaft begleitet habe.

Auf die Frage, was die Begegnungsreisen mit ihnen zurück auf Kuba gemacht habe, kamen sehr vielschichtige Antworten. Eine Teilnehmerin berichtete froh über neue Kochrezepte, insbesondere eine Spinatlasagne, mit der sie seither ihre Familie und sich erfreute. Ein anderer war vor allem davon berührt, dass eine deutsche Pfarrerin ihn gebeten hatte, auf Kuba für ihre Kirche zu beten. Nun lebe er in dem Bewusstsein, dass auch die Menschen in der sog. „3. Welt“ viel zu geben hätten – zum Beispiel mit ihrer Bildungsarbeit und ihrer Netzwerkkultur. Das sei ihm vorher nicht bewusst gewesen. Wieder eine andere Teilnehmerin berichtete, dass ihr diese Erfahrung vor allem in ihrer Arbeit als Lehrerin weiterhelfe und eine neue Sicherheit schenke. Sie unterrichtet Geographie, sowohl für Schüler:innen als auch für interessierte Senior:innen. Seit ihrer Deutschlandreise habe sie den Eindruck, sie könne nun authentischer und vielschichtiger über die Welt in ihrer Komplexität lehren.

Ein Regen an Ideen

„Lluvia de Idéas“ (Regen an Ideen) nennt sich die kubanische Methode für das, was wir in Deutschland meist mit Brainstorming beschrieben. Nach einer schmackhaften Mittagspause in der so manche Anekdote von damals ausgetauscht wurde, kam die ganze Gruppe noch einmal zusammen und überlegte, wie es nun mit der Partnerschaft weitergehen könnte, was noch offen sei und welche Ideen und Anknüpfungspunkte es gibt. Ein Austausch von Freiwilligen und Ehrenamtlichen wäre ein Anfang. Dabei könne an die Vielfalt der Bildungskonzepte angeknüpft werden. Vielleicht könnten Frauen in der Literatur beider Länder im Zentrum stehen. Eine besondere Zielgruppe wären junge Menschen, zum Beispiel Studierende der Theologie. Aber auch Senior:innen seien vielversprechend, betonte eine kubanische Teilnehmerin. Sowohl Kuba als auch Deutschland stehe vor der Herausforderung einer immer älter werdenden Gesellschaft. Hier könne viel voneinander gelernt werden. Das Aufkommen von digitalen Netzwerken stärkte insbesondere Gedanken zu neuen Austauschformaten, neben den klassischen Begegnungsprogrammen. Wie wäre es beispielsweise, zeitgleich an einem ähnlichen Projekt zu arbeiten? Auch sei es hilfreich, sich gegenseitig über die öffentliche Resonanz einer Begegnung in dem jeweils anderen Land zu informieren. Auf mehreren Filpchart-Postern wurden die Stichworte, Ideen und Gedanken der Gruppen zusammengefasst.

Fiesta

Nach dem gemeinsamen Reflektieren und Diskutieren durfte natürlich auch das Feiern nicht zu kurz kommen – das feiern, was war und vielleicht auch das, was noch kommen wird. Das Team des Centros hatte eine Partnerschafts-Geburtstagstorte sowie süße und salzige Snacks organisiert und schenkte in Bechern Kola und Wein aus. Erst auf Spanisch, dann auf Deutsch sangen die Teilnehmenden ein Geburtstagsständchen und pusteten alle gemeinsam die Kerze aus – ein sehr berührender Moment. Gelassen unterhielten sie sich miteinander und schwelgten noch einmal in der einen oder anderen Erinnerung an die Begegnungen und Erfahrungen im Rahmen der kubanisch-deutschen Partnerschaft, bzw. „amistad“ (Freundschaft), wie sie es auf Kuba nennen.

Weitere Beiträge und Fotos finden sich in unserem Kuba-Blog sowie über den Instagram-Kanal @weltverantwortungevlks.

Gruppenfoto des Auswertungsseminars zur Kuba-Partnerschaft