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Die Last des Alters teilen: mit Schönheit, Poesie und Spiel


2. März 2025

Am Mittwoch besuchten wir einen Seniorentreff im Stadtteil Marianao von Havanna. Wir lernten die Menschen dort kennen, kamen ins Gespräch und spielten zusammen.

Blogbeitrag von Barbara Timmel

Auf den heutigen Tag hatte ich mich besonders gefreut, denn nach Stunden des Sitzens und Übersetzens in unterkühlten Seminarräumen, sollte es endlich hinaus in die kubanische Sonne und in das Alltagsleben von Havanna gehen – in einen Tagestreff von älteren Menschen des Stadtbezirkes Marianao. Da ich bereits mehrere Male als Übersetzerin an Projektreisen dieser Art teilnehmen durfte, wusste ich um die Besonderheit eines solchen Ortes: anstelle gediegener grau-beige-farbener Kleidung älterer Menschen in Deutschland, sticht bei kubanischen Senior*innen durchaus noch die eine oder andere bunt gemusterte Kleidung hervor oder man entdeckt das Porträt von Fidel Castro oder Che Guevara auf dem T-Shirt eines ehemaligen Weggefährten der Sierra-Maestra-Kämpfe (die wir hier tatsächlich auch wieder fanden!). Ergänzt wird die Farbigkeit der Kleidung durch die schwarze, braune, weiße oder sommersprossige Haut ihrer Träger*innen. Kaum eine diversitätsbemühte PR-Abteilung einer westlichen Werbeagentur könnte diese ethnische Vielfalt besser auf einem Foto zusammenstellen, als sie hier in dem kleinen Raum der Tagesbetreuung für Senior*innen in Kuba tatsächlich existiert.

Vor uns sitzen 35 ältere Menschen und schauen uns erwartungsvoll-neugierig an. Wir sind eine interessante Abwechslung für ihren Tagesablauf, der sehr strukturiert ist. Morgens nach der Ankunft gibt es gymnastische Übungen, dann eine kleine Zwischenmahlzeit, anschließend Spiel und Beschäftigung, danach das Mittagessen, an dem sich eine kleine Siesta anschließt. Betreut werden sie von einem Leitungsteam und einer Psychologin. Nach dem Nachmittagssnack werden Handarbeiten angefertigt oder die Bewohner*innen tauschen sich über Kinder und Enkelkinder aus, die zum Teil weit weg auf einem anderen Erdteil leben, um dort eine neue Zukunft zu finden, an die sie hier nicht mehr glauben.

Die Leiterin der Einrichtung sowie zwei vom „Ältestenrat“ gewählte Vertreterinnen der Tagesgäste begrüßen uns herzlich und fordern uns zu einer kurzen Vorstellungsrunde auf. Danach stellen sie ihre Einrichtung vor. Leider gibt es auch hier lange Wartelisten um einen Platz in der Tagesbetreuung oder in einer Pflegeeinrichtung zu bekommen. Eine wichtige Voraussetzung zur Teilnahme an diesem Treff ist die geistige und körperliche Mobilität. Es gibt eine ältere Dame, die pro Tag 15 Häuserblocks weit laufen muss, um hierherzukommen. Neben ihr sieht man zwei Geh-Hilfen stehen. Die meisten haben nicht die Möglichkeit persönlich von ihren Kindern hierher gebracht zu werden, da die Familie entweder im Ausland ist oder sich das teure Benzin nicht leisten kann. Kuba hatte dank der gut ausgebauten Gesundheitsversorgung im Land eine Lebenserwartung erreicht, die denen der westlichen Länder ähnelt. Mittlerweile ist diese aufgrund der immer prekärer werdenden Lebensverhältnisse und eines akuten Medikamentenmangels um mehrere Jahre gesunken (von 78 Jahren auf 74 Jahre). Die Einrichtungsleiterin freut sich über die mitgebrachten Medikamente, die dank der Spenden ausländischer Gäste von Zeit zu Zeit überreicht werden können.

Es dauert nicht lange und schon erhebt sich ein Mann, der ein selbst verfasstes Gedicht vorträgt. Da eine Übersetzung die reinste Barbarei wäre, lauschen wir einfach nur dem Klang der Worte und dem Rhythmus der weichen kubanischen Sprache. Wenig später steht ein weiterer Mann auf und singt ein Lied für Omara. Natürlich auch eine Eigenkreation, wie er betont. Er hat als Verfasser und Musikproduzent gearbeitet und sicher war Omara eine junge schöne Frau, die er einst lieben durfte. Die Kubaner sind ein Volk der Poesie und der romantischen Lieder. Es gibt viele Musiker*innen unter ihnen und der Staat hat die Beteiligung an Kunst und Kultur durch Tanz- und Musikschulen zu moderaten Preisen immer sehr gefördert. In fast jeder Begegnungsstätte für Senior*innen und selbst in Pflegeheimen bin ich auf Menschen getroffen, die ihre schöngeistigen Neigungen noch im Alter pflegten und in Form eines Gedichtes oder selbst gesungenen Liedes vortrugen. Auch diesmal war ich sehr berührt davon zu sehen, wie Lieder und Poesie auch in Zeiten größten Mangels nähren können und die schönen Seiten der Menschen anklingen lassen. Natürlich wurden auch wir aufgefordert zu singen. Nachdem wir uns kurz auf Lied und Text geeinigt hatten, entschieden wir uns für ein Frühlingslied und ohne zu üben schafften wir die Impro sogar zweistimmig, was sehr viel Anklang unter den Kubaner*innen fand. Sie waren ehrlich begeistert, was uns zeigte, dass wir diesbezüglich nie Hemmungen haben brauchen, auch diese Art des Ausdrucks zu nutzen, zumal uns die Sprache schon viele Barrieren auferlegt.

Daher ließen wir uns im Anschluss auf verschiedene Spielrunden ein, die sowohl das auf Kuba übliche Dominospiel umfasste, als auch Kartenspiele, die ähnlich wie Bridge funktionierten. Ich durfte mir von einer 96jährigen die für mich kompliziert klingenden Spielregeln eines Kartenspiels erklären lassen, deren Symbole und Punktzahl so gar nicht der Wertigkeit der Karten entsprach bzw. entgegengesetzt zu dem stand, was ich von heimisch üblichen Spielen kannte. Da ich die Regeln kaum durchblicken konnte, half sie mir meine Gewinne zur Seite zu schaffen. Ich zog auf gut Glück immer irgendeine Karte und durfte mich wie das blinde Hühnchen fühlen, was letztendlich sein Korn findet. Freudig gratulierte sie mir nach der Partie zu meinem Sieg.

Im Anschluss sammelten wir uns im großen Außenhof zu einem Abschlussbild, hatten vom Kampf in der Sierra Maestra gehört, von Begegnungen mit Comandante Fidel und bekamen selbst geschriebene Gedichte und Broschüren überreicht. Die Begegnung hatte es geschafft, ein Licht auf beiden Seiten anzuzünden und eine Gemeinschaft zu spüren, die sich über Kultur-und Generationsgrenzen hinwegsetzen konnte. Auch das ist für mich ein Teil des Transformationsprozesses.

Weitere Beiträge und Fotos finden sich in unserem Kuba-Blog sowie über den Instagram-Kanal @weltverantwortungevlks.

Besuch eines Seniorentreffs in Havanna