Lernmodul 1 – 10 bis 12 Jährige „Frieden, Friedensethik und Friedenserziehung – Impulse für friedensethisches Lernen“

Schule und Gemeinde (10 bis 12-jährige)

Autoren: D. Käbisch, J. Träger: „Schwerter zur Pflugscharen“, EVA, Leipzig 2011
(mit freundlicher Genehmigung der Autoren und des Verlags)
Zusammenstellung und Ergänzungen von Wolfgang Lange: ehem. Studienleiter
Theologisch-Pädagogisches Institut der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, Moritzburg

1. Wertebildung und friedenspädagogische Arbeit an öffentlichen Bildungsorten

Öffentliche Lernorte müssen sich den Aufgaben grundlegender Sozialisation der heranwachsenden Bürgerinnen und Bürger stellen. In einem zusammenwachsenden Europa und zunehmender Globalisierung gehören Wertebildung und besonders friedenspädagogische Bildung und Erziehung zu den Querschnittsaufgaben von Bildung. Was eine Gesellschaft als Werte schätzt, muss sie kleinen und großen Menschen auch als wertvoll zeigen und kommunizieren – von der Arbeit in Kindertagesstätten bis zur Seniorenuniversität. Besondere Sorgfalt ist dabei auf die Wertebildung mit Heranwachsenden zu legen. Nur eine bewusste Werteförderung hinsichtlich demokratischer Werte kann Kinder zu mündigen Bürgern einer demokratischen Gesellschaft werden lassen.

Für die Bildungsarbeit werden Werte konkret durch Normen und Regeln, diese werden auf der Grundlage von Werten gebildet.

Besonders für die Elementarbildung bis hin zu Bildung und Erziehung in der Grundschule und weiterführenden Schulen sind Regeln und Normen notwendig, um Zusammenleben zu gestalten. Regeln müssen immer wieder an konkrete Situationen angepasst werden. Normen sind Vorstellungen, die in Gruppen und Milieus etabliert sind und dort als wichtig gelten. Es gilt, von Anfang an demokratische und friedensethische Grundlagen als Normen zu bilden und diese in konkreten Regeln für das Zusammenleben alltagstauglich anzuwenden. Den Grundladen ethischer Bildung sind alle in Bildung und Erziehung Tätige verpflichtet:

Achtung und Respekt, Empathie – gegenüber Menschen und allen Mitgeschöpfen, Freundschaft, Gemeinschaft, Friedensbildung, Verschiedenheit als normal wahrzunehmen, Gewaltfreiheit und Konfliktfähigkeit, Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, Demokratie, Umweltbildung.

Deshalb gehört Wertebildung und friedenspädagogische Arbeit zu den Querschnittsaufgaben aller Lehrerinnen und Lehrer, besonders derer, die als Klassenlehrer/-innen Verantwortung übernehmen. Darüber hinaus sind durch fächerverbindenden Unterricht die Themen ethischer und friedenspädagogischer Bildung besonders zu fördern.

2. Thematische Grundlegung

2.1 Begriffsklärung „Frieden“1

Für die Bearbeitung des großen Themas „Frieden“ in Schule und Gemeinde ist eine Differenzierung in alltagssprachliche, politisch-rechtliche und theologische Bedeutungen nötig.

Alltagssprachliche Bedeutungen:

bleib friedlich, meinen inneren Frieden bewahren, um des lieben Friedens willen

Politisch-rechtliche Bedeutungen:

Frieden als vertraglich vereinbarter Zustand – im Gegensatz zum rechtlichen Zustand des Krieges; Vertrags-Frieden; heutiges Friedensverständnis am Begriff der Sicherheit orientiert; zur internationalen völkerrechtlich gestützten Friedensordnung gehören: Recht der Völker auf Selbstbestimmung, Anerkennung bestehender Staatsgrenzen und Grundsatz der Nichteinmischung eines Staates in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten

Der norwegische Friedensforscher Johan Galtung hat einen Vorschlag gemacht, wie man Frieden verstehen kann. Er unterscheidet zwischen einem negativen und einem positiven Frieden. Der negative Frieden ist dann erreicht, wenn die Waffen schweigen und es keinen Krieg gibt. Der positive Frieden ist schwieriger zu bestimmen, weil es so unterschiedliche Vorstellungen davon gibt. Eine Gemeinsamkeit könnte darin bestehen, dass es beim positiven Frieden um mehr Gerechtigkeit und weniger Gewalt geht und dass Menschen versuchen, beide Ziele gemeinsam mit vielen anderen Menschen durchzusetzen. Frieden bedeutet keine Ausbeutung, Chancen auf Arbeitsplätze, Freiheit und Menschenrechte.

Niemand weiß, ob dieser positive Frieden jemals vollständig verwirklicht werden kann. Auch können und dürfen keine Regierung und keine Person für andere bestimmen, was sie unter Frieden verstehen sollen. Dies wäre eine sehr unfriedliche Bevormundung! Deshalb kann man auch sagen, dass Frieden ein langer Prozess ist und dass jeder Mensch sich an diesem Prozess beteiligen kann.

In diesem Sinn ist auch der Satz von Mahatma Ghandi gemeint:
„Es gibt keinen Weg zum Frieden – Frieden ist der Weg“.

Theologische Bedeutungen:

Der biblische Schlüsselbegriff für Frieden ist SCHALOM (hebräisch). Darin liegen Verständnisse von Wohlergehen, inneren Frieden, Frieden zwischen den Menschen im Kleinen wie im Großen, Gerechtigkeit als Voraussetzung für ein friedliches Miteinander, bis hin zum Frieden zwischen Völkern und der besonderen Dimension des Friedens zwischen Gott und den Menschen. Deshalb braucht es die Unterscheidung von äußerem und inneren Frieden: Frieden nicht nur als Abwesenheit von Gewalt und Krieg, sondern auch als Zustand inneren Heilseins.

Theologisch muss differenziert werden zwischen vorfindlicher Welt und der Vision des Reiches Gottes, die vom SCHALOM erfüllt und durchdrungen ist. Alle o.g. Verständnisse fließen in dieser Erwartung zusammen. Die Idealvorstellung des Reiches Gottes hat Jesus immer wieder aufleuchten lassen in seinem Wirken: Kranke werden gesund, Arme gewinnen Hoffnung, Traurige werden getröstet, der Tod wird überwunden, Gemeinschaft zwischen den Menschen und zwischen Gott und den Menschen wird gestiftet. Mit diesem Ideal werden Kriterien für die Erkennbarkeit der unvollkommenen Welt anhand theologischer Deutung gegeben.

Frieden/SCHALOM wird als Beginn des Gottesreiches im Kleinen verstanden. Das wird sichtbar, wenn gewaltfreie Konfliktlösung gelingt und Vergebung und Versöhnung gelebt werden.

2.2 Reflexionen zum Thema Konflikte

Friedfertigkeit beweist sich nicht im Vermeiden, sondern im friedlichen Bearbeiten von Konflikten! Besonders prophetische Schriften, jesuanische Streitgespräche mit Pharisäern und Schriftgelehrten und die Auseinandersetzungen in der paulinischen Theologie zeugen vom Potential biblischer Streitkultur. Der biblische Kanon selbst ist Bekenntnis zur Meinungspluralität! Ausgehend von den gesellschaftlichen Funktionen des Konfliktes (Konflikte als störende Abweichung vom Idealzustand, als systemintegrative Kraft und als Voraussetzung für gesellschaftliche Wandlungsfähigkeit) werden vier Analyseebenen unterschieden:

a) Intrapersonale Ebene – innere Konflikte als psychische Spannung zwischen eigenem Denken, Fühlen und Handeln

b) Interpersonale Ebene – Konflikte in zwischenmenschlicher Kommunikation, besonders zwischen Einzelnen

c) Innergesellschaftliche Ebene – Konflikte zwischen politischen, religiösen, ökonomischen u.a. Gruppen; zwischen Mehrheiten und Minoritäten; Informations-, Kommunikations- und Technologie-Konflikte

d) Internationale Konflikte – der Einsatz für globale Friedenssicherung

2.3 Exemplarisches Lernen an epochalen Schlüsselthemen (nach Wolfgang Klafki)2

Auch wenn die Themen des konziliaren Prozesses kaum noch öffentlich aktuell diskutiert werden, bleiben für das Überleben der Menschen auf dieser Erde die drei Schlüsselfragen:

  1. Wie lernen wir friedlich miteinander zu leben?
  2. Wie lernen wir eine gerechte Verteilung der Ressourcen?
  3. Wie lernen wir ökologisch-nachhaltig zu leben?

Die Friedenserziehung nimmt dabei einen besonderen Platz ein, weil sich im internationalen Verständnis das Dilemma kriegerischer Auseinandersetzung im dritten Jahrtausend in den Balkankriegen, im Irak-Krieg und im afghanischen Krieg gezeigt hat. Krieg hat als politisches Mittel keine vernünftigen Optionen mehr!

3. Themen des Lehrplans Evangelische Religion, die mit dem Friedensthema verknüpft sind

3.1 Lehrplan Grundschule

Bereits in der Grundschule in Kl. 3 sind Ziele zur Friedenserziehung und -bildung grundlegend:

„Die Schüler vertiefen ihr Verständnis von der Liebe Gottes zu jedem Menschen. Sie werden in ihrem Selbstvertrauen gestärkt und vermögen ihre Verhaltensweisen und Beziehungen zu reflektieren und zu beurteilen. Sie entwickeln eigene Vorstellungen für den Umgang mit Konflikten….

Die Schüler setzten eigene Bildhafte Vorstellungen von einer friedlichen Welt in Beziehung alttestamentlichen Verheißungen und zur Vision Jesu vom Himmelreich Gottes.“ Z.B. übertragen sie die Bedeutung des Symbols Brücke auf den Umgang mit Konflikten (Kl. 3, Ev. Religion, LB 1 Miteinander leben)

In Kl. 4: „Die Schüler verstehen die Notwendigkeit von Regeln und Geboten für das menschliche Zusammenleben und bemühen sich um deren Anwendung.“ Sie positionieren sich zu Erfahrungen mit Rache und Vergeltung. (Kl. 4, Ev. Religion, Wahlpflicht 3 Vergelten und Vergeben)

3.2 Lehrplan Mittelschule

In Kl. 5, Ev. Religion, Lernbereich 1:

Die Botschaft der Bibel

Kennenlernen der Geschichte des Volkes Israels anhand von Gestalten des Alten Testaments, z.B.

  • Abraham: Die Auseinandersetzung zwischen Abraham und Lot (Gen 13)
  • Lernbereich 4: Das eigene Leben und unsere Welt
  • Goldene Regel (Mt 7,12)
  • Umgang mit Fremden (Lev 19,33f)
  • Kinderrechte der UNO

In Kl. 8: Schüler beurteilen den Einfluss des Gewissens auf Entscheidungen im eigenen Leben und in der Gesellschaft. (Ev. Religion, Wp 1 Gewissenhaft-Gewissenlos?!)

In Kl. 9, Ev. Religion: „Die Schüler lernen die Bergpredigt als Zusage Gottes und als Maßstab für gegenwärtiges und zukünftiges menschliches Handeln kennen und finden darin Eckpunkte für ihr Leben. Sie sind in der Lage, existentielle Fragen der Menschheit zu erkennen, zu diskutieren und für sich selbst Lösungsansätze zu finden. Dabei lernen sie, Verantwortung für ein würdevolles Miteinander zu übernehmen.“ Sie kennen die Bergpredigt in Auszügen – Aufbau, Seligpreisungen, Salz und Licht, Feindesliebe, Vaterunser – und positionieren sich zu Aussagen der Bergpredigt.

In Kl. 10, Ev. Religion, LB 2: „Die Schüler vertiefen ihre interreligiösen und interkulturellen Kompetenzen, sowie ihre Kenntnisse zur Geschichte des jüdischen Volkes und sind in der Lage, deren politische Dimension zu verstehen und zu bewerten.

Die Schüler setzen sich mit Fragen auseinander, die Menschen angesichts ihrer Erfahrungen mit Leid, Sterben, Tod und Krisenbewältigung in einer säkularen Welt bewegen…. Die Schüler verstehen den Zusammenhang von Freiheit und Verantwortung und entwickeln persönliche Kritikfähigkeit und Toleranz.“

LB 3: Sie gestalten einen Verhaltenskodex für das Zusammenleben von Menschen verschiedenen Glaubens (z.B. Hans Küng: Weltreligionen – Weltfrieden – Weltethos)

Sie positionieren sich zum Verhältnis von persönlicher Freiheit und Verantwortung für sich selbst und andere.

3.3 Lehrplan Gymnasium

In Klasse 5, Ev. Religion, Wahlpflicht 2: Biblische Geschichten erzählen

Anhand von Davids Geschichten das Thema Freundschaft und Umgang mit Macht thematisieren (1. Sam 18,1-5 und Kap 20)

In Kl. 8, Ev. Religion, beziehen Schüler Position zu verschiedenen Gerechtigkeitsvorstellungen und erkennen ihre Verantwortung für die Welt.

In Kl. 10, Lb 3: Die Schüler kennen verschiedene Begründungen von Werten und Normen, positionieren sich zum Phänomen des Gewissens als Entscheidungsinstanz, wenden unterschiedliche religiöse und philosophische Positionen in der Auseinandersetzung in einem aktuellen Konflikt an.

Im Grundkurs Ev. Religion, Kl. 12 beurteilen Schüler ethische Konzeptionen im Blick auf ihre anthropologischen Grundlagen (z.B. Ethik der der Verantwortung/ Bonhoeffer)

Im Leistungskurs Kl. 12 gewinnen die Schüler Maßstäbe für die sittliche Beurteilung menschlichen Handelns und reflektieren die Bedeutung anthropologischer Aussagen für die Begründung von Ethik. Sie positionieren sich zum Verhältnis von Staat und Kirche. Sie gestalten eine theologische Konzeption der Hoffnung als Auftrag für die Kirche des 21. Jh.

4. Didaktisch-methodische Hinweise für die thematische Arbeit im Religionsunterricht der Klassenstufe 5/63

Exemplarisch werden für die o.g. Jahrgangsstufe friedenspädagogische Themen anhand der Lehrplananknüpfung entfaltet.

4.1 Ziele und Lernsequenzen

Biblische Grundlagen:

Die Schüler/-innen lernen die Bergpredigt kennen und positionieren sich zu biblischen Aussagen über Krieg und Frieden

Kirchengeschichtliche Vertiefung:

Die Schüler/-innen lernen den Konflikt zwischen Jugendweihe und Konfirmation (respektive Firmung) als Beispiel für die Staat-Kirche-Konfrontation der 70er und 80er Jahre in der DDR kennen.

Friedensethische Anwendung:

Die Schüler/-innen gestalten ein Rollenspiel, in dem sie die Streitschlichtung als Weg der Konfliktlösung anwenden.

Das Thema „Kindersoldaten“:

Die Schülerinnen und Schüler werden anhand des Themas „Kindersoldaten“ und des jesuanischen Friedensgebotes (Mt 5,38ff) zur Positionierung herausgefordert.

Nach fast 70 Jahren militärischen Frieden in Mitteleuropa ist das Thema „Krieg“ trotzdem weltweit aktuell. Auch in Südeuropa, bis zur „Schwelle unserer Haustür“, ist der Balkankrieg mit den Schwierigkeiten des neu aufbrechenden Nationalismus präsent.

Mit dem Film „Lost Children“ wird anhand von Kindersoldaten die Zielgruppe der 11- bis 12-Jährigen besonders angesprochen. Kinder in ihrem Alter werden manipuliert und gezwungen, sie sind gewalttätig, schießen und töten – und erleben traumatische Veränderungen ihrer Persönlichkeit.

a) Möglichkeiten der Weiterarbeit nach dem Film:
Wie wurden die Kinder zu Soldaten?
Was hat sich im Leben der Kinder verändert?
Welche Folgen hat die Gewalt für Kinder?

b) Biblischer Text zur Auseinandersetzung mit dem Friedensgebot Jesu:
Mt 5, 38-48
Anhand der drei Sprüche (V. 39b-41) interpretieren die Jugendlichen für sich:

  • die Ohrfeige als Ausdruck des Hasses und der Beleidigung,
  • die Pfändung des Gewandes als Ausdruck rücksichtsloser Bereicherung
  • und Zwangsarbeit als Ausdruck von Verfügungsgewalt über andere

Die Schüler/-innen werden zur Positionierung herausgefordert: Welche Forderungen sind ihrer Meinung nach möglich, welche schwer umzusetzen und welche erscheinen unmöglich?

4.2 Kompetenzen und methodische Anregungen

a) Die Schüler/-innen geben Auskunft über eine Schlüsselszene der kirchlichen Zeitgeschichte am Beispiel einer Familiensituation (M1.1 siehe S. 14)

b) Die Schüler/-innen kennen das Symbol „Schwerter zu Pflugscharen“ als friedensethische Forderung im Kontext einer fiktiven Konfirmandenstunde (M 1.2 siehe S. 16)

c) Die Schüler/-innen unterscheiden Forderungen der Bergpredigt und prüfen religiöse Deutungsoptionen (M 1.3 siehe S. 17)

d) Die Schüler/-innen beziehen Aussagen der Bergpredigt auf aktuelle Konflikte (M 1.3 siehe S. 17)

e) Die Schüler/-innen bearbeiten Entscheidungssituationen eigener Lebensführung (M 1.4-1.6 siehe S. 18/19)

Alle Materialien sind für die unterrichtliche Arbeit vorbereitet: Themenheft „Schwerter zu Pflugscharen“, S. 34-47, zu bestellen über www.eva-leipzig.de

5. Didaktisch-methodische Hinweise für die gemeindepädagogische Arbeit mit 10- bis 12-jährigen Kindern

Die Hinweise können auch im schulischen Kontext angewendet bzw. für den Lernort Schule modifiziert werden.

5.1 Den Frieden erwarten4

Intention:
Gründe der Gewalt überprüfen und den Weg des Friedens wahrnehmen.

5.1.1 Zum Thema

Was 11- bis 13-jährige Kinder und Jugendliche über den Krieg sagen, ist bestimmt von den Realitätsbildern des Fernsehens. Einige hören vom Krieg von den Großeltern. Die meisten sehen die Bilder des Leids und werden damit nicht fertig. Sie haben ein ausgesprochenes Gerechtigkeits- und Friedensbewusstsein und sprechen sich für Verständigung, Versöhnung und Liebe aus.

Sie nennen als Ursachen des Krieges:
„Weil es Leute gibt, die immer mehr Geld, Besitz und Land haben wollen.“
„Es will jeder Macht haben und jeder hat andere Vorstellungen von etwas.“

Sie urteilen über den Krieg:
„Sinnlose Zerstörung und Morden von Unschuldigen.“
Dagegen: „Im Frieden sind Leute wie Freunde.“

Ihre Vorschläge, Kriege zu verhindern:
Abrüsten, Waffenproduktion stoppen, Friedenstruppen, Friedensverträge

Unter Weltfrieden verstehen sie nicht nur eine Welt ohne Krieg, sondern auch weltweite Gerechtigkeit, Umweltschutz und Entwicklungsmöglichkeiten für alle.

Es besteht Einigkeit darüber, dass ihre „Kleinkriegserlebnisse“ von Gewalt nicht direkt die Einstellungen zur Gewaltanwendung beeinflussen. Dennoch ist zu überprüfen, inwieweit zum Beispiel übermäßige Gruppen- und Schuldisziplin Gewaltbereitschaft fördert oder zwischen dem lokalen Gewaltklima und der Einstellung zu militärischen Aktionen ein Zusammenhang besteht. Bei alledem ist die Vorbildfunktion einer Kultur der Gewaltlosigkeit hervorzuheben:

  • Vergebungsbereitschaft unter Freunden,
  • Respekt vor Andersdenkenden im kommunalen Zusammenleben,
  • Versöhnung in der Familie

Kriege und militärische Interventionen werden subjektiv von den kriegsführenden Parteien immer als gerechtfertigt angesehen. Sie sind aber objektiv nach dem 5. Gebot Sünde, auch wenn einzelne Motive und Ziele gerechtfertigt erscheinen (siehe Bonhoeffers Widerstand).

Kinder und Jugendliche können auf Grund ihrer „Kleinkriegserlebnisse“ mitreden und ihre gewaltfreien Konfliktlösungen übertragen. Diese „Analogiearbeit“ kann unter der Perspektive des Friedenstiftens (Mt 5,5.9.38-48) sowie im Vertrauen auf das zukünftige Reich Gottes als Hoffnungszeichen (Jes 11,1-9; Mi 4,1-4) geschehen.

Der Anlass des Themenblattes ist das Erinnern an den Beginn des 2. Weltkrieges. Nicht der Verlauf und die Einzelheiten dieses schrecklichen Krieges werden thematisiert, sondern die Gründe und das Ende mit seinen Opfern. Denn Kinder und Jugendliche fragen:

  • Warum ist Krieg?
  • Wie beginnt und endet Krieg?
  • Was ist gerechter Frieden?

Dem Nachdenken über Gewalt und der Empathie mit den Opfern steht das Feiern des Friedens gegenüber. Die Friedenslieder zusammen mit dem Friedensfest sind der Rahmen der Arbeitseinheit; sie sollen die christliche Zukunftsperspektive vermitteln. „Der Frieden gibt den Menschen Hoffnung und Freude.“

Die Arbeitseinheit hat ihren Kontext in den Friedensbezügen der Kirchengemeinde. Sie lässt sich in die Friedensgebete und die entsprechenden aktuellen Gedenktage einfügen. Die einzelnen „Bausteine“ können Teile eines Gemeinde- oder Familientages sein, in dem die Kommunikation der Generationen stattfindet.

a) Fragestellungen zur Lebenswelt

  • Welche aktuellen kriegerischen Auseinandersetzungen kennen die Kinder?
  • Welche Erfahrungen bzw. Ängste äußern Kinder und Jugendliche, wenn sie vom Krieg hören?
  • Was fasziniert sie bei den Berichten über Kriegshandlungen in den Medien?
  • Welche aktuellen Kriegsspiele kennen die Kinder?
  • Wie äußert sich ihre Empathie mit den Opfern?
  • Wer gibt ihnen Orientierung, wenn sie sich mit Gewalt auseinandersetzen?
  • Welche Erfahrungen haben sie mit gewaltfreien Konfliktlösungen?
  • Welche Bilder bzw. Symbole benutzen sie, wenn sie vom Frieden reden?
  • Inwieweit haben sie sich an Friedensinitiativen beteiligt?
  • Welche Friedenslieder und biblischen Friedenstexte kennen sie?
  • Welche Kenntnisse über die nationalsozialistische Diktatur, über Gewalt und Judenvernichtung aus Schule und Erzählungen sind vorhanden?

b) Andere Zugänge

  • Friedensdekade; Friedenslieder und Friedensgebete gegen den Krieg
  • Volkstrauertag: Kriegerdenkmäler als Mahnmale für den Frieden
  • Familiennachmittag zum Thema: Friedensworte
  • Meditation zu Mt 5,9: Wer sind die Friedensstifter?

5.1.2 Lernsequenzen

Intention 1:

  • die Beurteilung von Krieg und Frieden mit Kindern und Jugendlichen zur Sprache bringen und bedenken
  • Inhalt: was Kinder und Jugendliche über Krieg und Frieden sagen

Didaktisch-methodische Hinweise:

Das Lied „Frieden für die Welt“ (M 6, siehe Seite 21) eröffnet die Arbeitseinheit, es kann im Reigen getanzt werden. Das Lied begleitet auch die folgenden Themen.

Der Gruppe wird ein Blatt mit „Fragen zu Krieg und Frieden“ (siehe M 2, Seite 20) vorgelegt, das in Einzelarbeit bearbeitet wird. Durch das Aufschreiben wird die eigene Meinung bereits einmal bedacht.

Das anschließende Gespräch knüpft an die Vorstellungen der Kinder vom Krieg an und orientiert sich an den Bildern, die die Kinder gemalt haben (siehe M 2 Aufgabe 2, Seite 20). Die Zeichnungen geben Anlass, über Aktuelles und über Erzählungen von Eltern oder Großeltern zu sprechen. Auch aggressive oder Gewalt bejahende Äußerungen sollen zugelassen und von der Gruppe besprochen werden.

Fernsehbilder aktueller militärischer Aktionen sind zu befragen, ob sie auch zeigen, was die Waffen an den Opfern anrichten. Auf einem großen Blatt in der Mitte der Gruppe wird sichtbar, was die Gruppe über Krieg und Frieden denkt:

Gründe des Krieges und Möglichkeiten, Kriege zu verhindern, einschließlich der „sozialen Verteidigung“ (Kooperationsverweigerung, Blockaden, Demonstrationen nach dem Konzept von M. L. King); dazu ringsum Stichworte zu der Frage: Wie ist Frieden?

Zuletzt findet die Gruppe Symbole des Frieden.

Intention 2:

  • die Argumente des Widerstandes verstehen und diesen als Weg des Friedens werten
  • Inhalt: Geschwister Scholl kämpften für den Frieden

Didaktisch-methodische Hinweise:

Die Gruppe hat vielleicht bereits die Frage gestellt, wer denn unter den Deutschen etwas gegen die Nazis getan hat. Als dem Alter der Gruppe naheliegendes Beispiel des deutschen Widerstandes soll die „Weiße Rose“ gelten. In vielen Städten gibt es heute Geschwister-Scholl-Straßen.

Kurzvortrag:

Es ist Krieg, München 1943. Blätter schweben von der Treppe herab, jemand hat sie in den menschenleeren Lichthof der Universität geworfen. Der Haumeister sieht die fallenden Blätter und hebt eins auf. Er schließt alle Eingänge zum Hof und ruft die Polizei. Die beiden Studenten Hans und Sophie Scholl werden festgenommen. Es ist das 6. Flugblatt der Widerstandsgruppe “Weiße Rose“. Die Geschwister Scholl werden verurteilt und hingerichtet. Ich habe hier ein Blatt in der Hand mit Worten aus den Flugblättern, die die Geschwister Scholl und ihre Freunde in Münchner Straßen und Hauseingängen verstreuten. Dazu ein Foto.

Ein Jugendlicher liest vor: (siehe M 3, Seite 21)

Gespräch darüber, welche Argumente die Geschwister Scholl nennen und was sie bewirkt haben. Sie haben aus christlicher Gesinnung gehandelt. Der Frieden ist ein langer Weg.

Intention 4:

  • Mahnmale der Opfer finden und ihre Botschaft für den Frieden erkennen.
  • Inhalt: Die Katastrophe am Kriegsende

Didaktisch-methodische Hinweise:

Im Blick auf die erdrückenden Zahlen der Toten des 2. Weltkrieges, der in Gefängnissen und Lagern Ermordeten, der Flüchtlinge und der Zerstörungen ist für die Altersgruppe die lokale Spurensuche am geeignetsten.

Spurensuche 1:

Die Gruppe sucht das „Kriegerdenkmal“ oder die Gedenktafel in der Kirche am Ort auf.

  • Welche Worte weisen auf ein »Mahnmal des Friedens« hin?
  • Sollte die Gruppe beim Bürgermeister beantragen, dass bei diesem Denkmal eine Inschrift angebracht wird: „für die Opfer von Krieg und Gewalt zur Mahnung an den Frieden“?
  • Das Kriegeropfer-Mahnmal in Pirmasens hat einen Dornenkranz als Symbol. (siehe www.wikimedia.de)

Spurensuche 2:

Auf dem Friedhof sind noch heute Soldatengräber, vielleicht auch Gräber von ausländischen Zwangsarbeitern zu finden. Auf manchen Grabsteinen, die noch erhalten sind, steht das Todesjahr 1945. Der Pfarrer des Ortes bringt das Kirchenbuch für Beerdigungen in die Gruppe. Sie sucht das Jahr 1945, findet Namen und Todesursachen heraus.

Spurensuche 3:

Ein Gemeindeglied berichtet vom Jahr 1945, von den Flüchtlingen und Heimkehrern. Sie schworen: Nie wieder Krieg!

Vielleicht gibt es auch eine Kirchen-Chronik zum Jahr 1945.

Lied: Sing das Lied vom großen Frieden

(siehe M 4, Seite 21)

Intention 5:

  • Die biblischen Hoffnungsbilder des Friedens feiern
  • Inhalt: Agape mit Mi 4,1–4 und Mt 5,5 und 9

Didaktisch-methodische Hinweise:

Die Zukunftshoffnung des großen Friedens ist ein Ziel, das die Menschen nicht erreichen können. Denn der Frieden ist ein Hoffungs-Weg. Aber er lässt sich als Zukunftshoffnung der Freude mit seinen großen Bildern feiern. Das Fest wird als Agape-Feier gestaltet:

  • festlich geschmückter Raum: gedeckte Tische mit Symbolen des Friedens und Teelichtern,
  • auf Leinen: Schriftsätze aus den Arbeitsblättern, großes Symbol der Friedensdekade.
  • Gäste: Eltern/Großeltern

Ablaufplanung:

  1. Alle stehen im großen Kreis um den Tisch, Begrüßung mit Thema.
  2. Lied: Frieden für die Welt, als Tanz (siehe M 6, Seite 21)
  3. Psalm 85, 8–14 im Wechsel, Kanon EG 436 „Herr, gib uns deinen Frieden“
  4. Klagen über Unfrieden und Friedensbitten: „Ich zünde eine Kerze (Teelicht) an, ich beklage, dass …/ich bitte für …“ Dazwischen mehrmals der Kanon-Vers.
  5. Lesungen: Gedicht (zum Beispiel „Alptraum“ siehe M 5, Seite 24), dazu Mi 4,1b–4; Gedicht (zum Beispiel „Bitten der Kinder“ siehe M 5, Seite 21), dazu Mt 5,5 und 9
  6. Lied: Sing das Lied vom großen Frieden (siehe M 4, Seite 21)
  7. Alle setzen sich zum Essen: Brotsegen, Brot abbrechen
  8. Segen über dem Traubensaft, gegenseitig eingießen
  9. Kanon. Gebäck und Getränke auf dem Tisch, leise CD-Musik
  10. Bericht über die Erfahrungen beim Thema „Den Frieden erwarten“, Schlussgebet

5.1.3 Literatur- und Link-Hinweise

  • Mokrosch, Reinhold, Frieden/ Krieg, in: Lachmann, Rainer u. a., Ethische Schlüsselprobleme, Göttingen 2006
  • Rehrl, Annette: Sie zwangen mich zu töten, Knaur München 2006

5.1.4 Medien

  • DVD „Lost Children“ (auszuleihen über www.oeiz.bbwork.de )
  • www.Frieden-fragen.de
  • Lied „Frieden für die Welt“ – Melodie und Text: Dieter Trautwein, siehe M 6, Seite 21 (Originaltitel: „Brot für die Welt“/Mit freundlicher Genehmigung des Kaufmann-Verlages wurde das Wort „Brot“ durch „Frieden“ ersetzt.)

Tanzbeschreibung:

Reigen: vier Takte nach links, vier Takte nach rechts, mehrfach wiederholen.

Je nach Raumgröße sind auch andere Tanzformen möglich, zum Beispiel im Kreis vier Schritte nach innen und vier Schritte nach außen.5

5.2 Weiteres Material zum Thema Frieden

5.2.1 Erzählung: „Krieg darf nie wieder sein“6

Einer, der den Kriegsbeginn des 2. Weltkrieges am 1.9.1939 als Kind miterlebte, erzählt:

Ich kann mich an diesen Tag noch ganz genau erinnern. In der Woche zuvor hatte ich meinen 10. Geburtstag gefeiert. Auf meinen Wunsch hin hatten die Eltern mir an diesem Tage ein Kriegsbuch geschenkt. Denn ich hörte gern vom Krieg. Ich las gern vom Krieg. Ich spielte auch gern Krieg. Die Freude daran war vor allem ein „Verdienst“ meiner Lehrer. Sie erzählten uns bei jeder sich bietenden Gelegenheit Kriegsgeschichten und erzogen uns so zum Krieg: „Ein deutscher Junge muss zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl und flink wie ein Windhund sein.“

Am Morgen des 1. September 1939 weckte mich meine Mutter mit den Worten: „Junge, wach auf, es ist Krieg!“ Diese Worte rumorten noch auf dem Weg zu Schule in meinem Kopf: Es ist Krieg!

Ich rief sie dem erstbesten Klassenkameraden zu. Krieg – das war doch endlich etwas, was unseren sonst so gleichförmigen Schulalltag bereicherte.

In der Schule herrschte Hochstimmung. Wir freuen uns alle miteinander, dass endlich etwas Besonderes los war. Keiner ahnte etwas davon, was in den folgenden Jahren für Not und Tod auf uns zukam. Für uns Jungen war der Krieg eine Art großes Spiel. Oft genug hatten wir es schon gespielt. Das machte Spaß! Da konnten wir zeigen, wie kräftig, wie zäh und wie flink wir waren. Nach dem Spiel gingen wir meist tief befriedigt nach Hause. Was der Krieg wirklich bedeutete, wussten wir nicht, denn niemand hatte es uns gesagt.

Doch bald lernen wir es. Lernten es unter Schmerzen. Zuerst mussten die Väter aus den Familien fort. Auch mein Vater verließ uns von einem Tag zum anderen.

Dann gab es Lebensmittelkarten. Mit Geld allein war nun beim Fleischer, Bäcker und im Kolonialwarenladen (so hieß das Lebensmittelgeschäft) nichts mehr zu kaufen. Jeder bekam nur noch die Menge, die ihm auf den Lebensmittelkarten zustand. In den Zeitungen waren bald darauf die ersten schwarzen Anzeigen mit dem Eisernen Kreuz zu sehen. In ihnen wurde gemeldet, welche Männer für „Führer und Vaterland“ gefallen – also getötet waren. Erst waren es nur wenige. Dann Hunderte. Dann Tausende, Hunderttausende. Schließlich Millionen.

Zu Hause passierte es immer häufiger, dass ich mich nicht mehr satt essen konnte. Langsam aber sicher lernte ich ebenso wie fast alle meiner Klassenkameraden, was Hunger heißt.

Aber es kam noch schlimmer. Wir lernten den Tod kennen. Immer häufiger schreckte uns das Geheul der Sirenen auf: Fliegeralarm. Nachdem schon oft unzählige Bombenflugzeuge mit ihrer tödlichen Last über unsere Stadt geflogen waren – meist Richtung Berlin – stürzte eines Tages ein Bomber vor unserer Stadt ab. Wir Jungen suchten wenige Tage später das Gelände ab, um Bombensplitter oder ein besonderes Fundstück zu finden. Ich fand schließlich eine Mütze. Als ich sie in die Hand nahm, erschrak ich mächtig: in der Mütze war noch die Schädeldecke des Fliegers…

Gegen Kriegsende fielen dann auch Bomben auf unsere Stadt. Es gab zerstörte Häuser, Tote und Verletzte. Viele Fensterscheiben zerbrachen – und in uns zerbrach endgültig das falsche Bild vom Krieg, der Spaß machte.

Am Ende dieses schlimmen Krieges zählte man mehr als 54 Millionen Tote in vielen Ländern. Darunter 13 Millionen Kinder – eine grauenvolle Bilanz!

Jetzt versteht ihr vielleicht, warum am 1. September auf unseren Kalendern das Wort „Weltfriedenstag“ steht. Krieg darf nie wieder sein!

5.2.2 „Krieg spielen – Frieden lernen“ eine Geschichte von Gudrun Pausewang7

Onkel Bernhard war wieder mal auf Besuch da. Florian mochte ihn gern. Onkel Bernhard war fünfzehn Jahre älter als Florians Vater und hatte schon graues Haar. Mit ihm war es nie langweilig, obwohl er nur einen Arm hatte. Den anderen hatte er im letzten Krieg verloren.

Am Sonntagvormittag gingen sie zusammen angeln. Aber ein Gewitter mit einem gewaltigen Regen trieb sie heim. Am Nachmittag, als die ganze Familie vor dem Fernseher saß, zwinkerten Onkel Bernhard und Florian einander zu und stahlen sich unbemerkt davon.

„Wunderbare Luft hier draußen“, sagte Onkel Bernhard, als sie gleich hinter der Pferdekoppel in den Wald einbogen. „Und was wollen wir jetzt tun?“ „Krieg spielen“, antwortete Florian wie aus der Pistole geschossen. Onkel Bernhard antwortete nicht.

Aber als Florian erwartungsvoll zu ihm aufblickte, fragte er nachdenklich: „Krieg spielen? Ist denn das schön?“ „Klasse“, sagte Florian. „Und ganz bestimmt nicht langweilig.“ „Nein, ganz bestimmt nicht“, meinte Onkel Bernhard. „Krieg spielen ist wirklich nicht langweilig.“ „Man kann andere erschießen und mit dem Panzer über alles drüberwegfahren und Handgranaten werfen und den Feind überlisten und gefangennehmen und mit dem Fallschirm abspringen und so richtig echt raufen“, rief Florian begeistert. Er wunderte sich, daß Onkel Bernhard nicht antwortete.

„Im Krieg kann jeder seinen Mut beweisen“, erklärte Florian weiter. Man kann ein Held werden. Und man darf so vieles tun, was man in gewöhnlichen Zeiten nicht darf. Vor allen kann man siegen. Siegen macht Spaß – oder etwa nicht?“ „Zum Krieg gehören mindestens zwei“, sagte Onkel Bernhard. „Einer der siegt, und einer, der verliert.“

„Man darf eben nicht so blöd sein zu verlieren“, sagte Florian eifrig. „Du scheinst den Krieg sehr gut zu kennen“, meinte der Onkel. „Klar“, sagte Florian. „Ich schau mir immer die Kriegsfilme an.“

„Aha“, sagte der Onkel. „Wenn da der Krieg losgeht, freuen sich meistens alle darauf und können es gar nicht erwarten“, sagte Florian. „Das stimmt“, sagte Onkel Bernhard trübe. „Ich hab mich auch darauf gefreut – weil ich den Krieg nicht kannte. Ich hab mir ihn so vorgestellt wie in den Filmen: Die Guten siegen, die Bösen verlieren, die Unschuldigen werden gerettet und die Schuldigen bestraft. Nicht wahr?“ „Meistens“, antwortete Florian unsicher. „Also gut“, sagte Onkel Bernhard, „spielen wir Krieg. Aber ich kenne den Krieg. Deshalb spiele ich nur ganz echten Krieg, nicht solche Western-Kämpfchen.“ „O ja“; rief Florian begeistert, „spielen wir ganz echten Krieg!“

„Ich fürchte, du hast keine Ahnung, was da auf dich zukommt“, sagte der Onkel. „Du wirst anfangen zu weinen.“ „Ich?“ rief Florian lachend. „Darauf kannst du lange warten!“ „Florian“, sagte der Onkel fast feierlich, „ich will dich nicht zu diesem Spiel überreden. Wenn du Angst bekommst und lieber etwas anderes spielen willst, werde ich dich nicht feige nennen. Aber ich warne dich.“

„Nur zu, nur zu“, jubelte Florian, „ich will Krieg spielen!“ „Wer von uns beiden zuerst sagt: ‚Mir langt’s!‘, der hat den Krieg verloren“, sagte der Onkel. „Einverstanden“, rief Florian mit blitzenden Augen. „Abgemacht. Also, es geht los.“

„Wir haben aber keine Gewehre“, sagte Florian und hob zwei derbe Äste auf. Einer davon reichte er dem Onkel. Der verstummte und lauschte mit hochgerecktem Gesicht. Dann schrie er: „Tiefflieger!“, packte Florian am Genick und warf sich mit ihm längelang in den Schlamm unter eine überhängende Birke. „Aber Onkel Bernhard“, rief Florian, „meine Sonntagshosen!“ „Kopf runter“, donnerte der Onkel. „Rein mit dem Kinn in die Sauce. Beweg dich nicht. Oder willst du, daß sie Hackfleisch aus dir machen?“ Florian tunkte sein Kinn in den Schlamm. Mit einem Auge sah er, daß auch Onkel Bernhard seine gute Hose anhatte. „Verdammt, sie kommen zurück!“ schrie der Onkel. „Runter in den Graben!“ „Aber der ist doch voll Wasser-“ stotterte Florian kläglich. „Mach schon!“ brüllte der Onkel und gab ihm einen groben Stoß. „Oder wir sind hin!“ Florian stolperte mit einem platsch in den Graben, in dem schmutzigbraunes Regenwasser stand. Das lief ihm in seine Gummistiefel. Es reicht ihn bis zu den Knien. „Ducken!“, schrie ihn der Onkel an. Die sehen dich ja schon aus zehn Kilometer Entfernung!“ „Ins Wasser?“ fragte Florian erschrocken. Ohne zu antworten, drückte ihn der Onkel an der Schulter herunter. Florian mußte sich mit dem Hintern ins Wasser hocken. Der Onkel hockte sich neben ihn. „Die Mama wird schimpfen“, jammerte Florian. „Du hast keine Mama mehr“, sagte Onkel Bernhard hart. „Eine Bombe hat vorhin euren Hof getroffen. Die Mama war sofort tot. Deiner Oma hat ein Splitter das linke Bein abgerissen. Sie verblutet jetzt. Dein Vater ist von einem Dachbalken erdrückt worden. Und dein Opa hat beide Augen verloren. Deine kleine Schwester lebt noch, aber sie ist unter den Trümmern begraben. Man wird sie nicht finden. Sie wird da unten elend zugrunde gehen. Du bist jetzt ein Waisenkind, Florian. Du musst schauen, wie du allein durch den Krieg kommst.

Raus aus dem Graben, die Flieger sind fort. Aber dort drüben ballert’s. Ich glaube, da schleicht sich feindliche Infanterie heran, um uns den Weg abzuschneiden. Wir müssen hier weg.“

Kaum war Florian triefend aus dem Wasser geklettert, sagte der Onkel spöttisch: „Wo ist dein Gewehr?“ Verwirrt drehte sich Florian um. Da schwamm es im Graben. „Hol’s – aber dalli!“ schimpfte der Onkel. „Wie willst du Krieg machen ohne Waffe? Du machst dich ja lächerlich. Und die Feinde sind schon ganz nahe. Das wird dich dein Leben kosten!“ Florian kauerte sich beschämt am Grabenrand nieder und versuchte, den Stock herauszuangeln. Er drehte dem Onkel seinen Rücken zu.

„Ich spiele jetzt einen von den Feinden“, sagte der Onkel. „Warte einen Augenblick“, jammerte Florian, „ich muß erst mein Gewehr haben –„Aber da rief auch schon der Onkel: „Hände hoch!“ und hielt seinen Stock im Anschlag. Florian fuhr erschrocken herum. „Hände hoch – wird’s bald?“ donnerte der Onkel. „Meinst du, ich warte, bis du mich umbringst? Meinst du, ich laß mir die gute Gelegenheit entgehen, dich zu erledigen?“ „Nein“, rief Florian, „ich nehm die Hände nicht hoch. Ich will nicht der Verlierer sein!“ Und er stürzte sich auf den Onkel, der in diesem Augenblick „paff!“ sagte, und trommelte ihm mit beiden Fäusten auf der Brust herum. „Was soll das?“ fragte der Onkel. „Du bist tot. Du bist mir direkt ins Gewehr gelaufen. Laß dich fallen. Du bist jetzt eine Leiche, und ich werde dir deine Stiefel von den Füßen zerren, weil ich sie brauchen kann.“

Aber Florian schrie schrill: „Ich bin nicht tot! Ich bin nicht tot! Und jetzt mach ich dich tot!“

Da klemmt sich der Onkel sein Gewehr zwischen die Knie, packte mit seiner einzigen Hand den Jungen am Kragen und warf ihn mitten in die Brennesselbüsche zwischen Weg und Grabenrand. Florian heulte vor Schmerz. Nicht nur die Arme brannten. Auch über das Gesicht hatten die Nesseln gepeitscht. „Das ist unfair!“ schrie er wutentbrannt. „Meinst du, im Krieg ginge es fair zu?“ fragte der Onkel, dem die nasse Hose an den Beinen klebte. „Wenn du’s fair haben willst, mußt du was anderes spielen. Im Krieg sucht nur einer den anderen fertig zu machen, egal wie.“ „Und außerdem bist du viel stärker als ich“, heulte Florian. „Im Krieg ist immer einer stärker als der andere. Du hättest vorhin gut daran getan dich zu ergeben. Dann hättest du dir alles weitere erspart.“ „Aber dann hätte ich doch verloren!“ sagte Florian. „Alle, die sich in den Krieg einlassen, verlieren, auch wenn es bei manchen so aussieht, als hätten sie gesiegt“, sagte der Onkel. „Und jetzt lauf um dein Leben, wenn du unbedingt weiterleben willst. Die Panzer kommen.“ „Hilf mir aus den Brennessel raus“, bat Florian matt.

„Wollten wir nicht echten Krieg spielen?“ fragte der Onkel. „Renn, so schnell du kannst!“

Die Stiefel scheuerten, die Hose klebte. Zwischen den Beinen wurde die Haut wund. „Ich kann nicht mehr, Onkel Bernhard!“ jammerte Florian. „Du wirst schon noch können“;ächzte Onkel Bernhard, „wenn ich dir sage, daß ich jetzt wieder ein Feind bin und versuche, dir mit dem Gewehrkolben den Schädel einzuschlagen. Renn – ich komme!“ Und er schwang seinen Stock und brüllte mit verzerrtem Gesicht: „Gib mir meinen Arm wieder, du verdammter Hund!“ Florian erschrak. So hatte sein Onkel noch nie ausgesehen: wie ein wildes Tier – eine Bestie!

Er begann zu rennen. In einer morastigen Mulde verlor er einen Stiefel. Er wagte nicht stehenzubleiben. Er lief auf bloßen Socken weiter, trat auf spitze Zweige, auf Reisig, auf Äste. Vor Schmerz schrie er ab und zu laut auf. Hinter sich hörte er den Onkel immer näher keuchen. Kopflos vor Schreck stürmte er in das dornige Dickicht hinein, das vor ihm lag, und spürte, wie seine Hose hängenblieb und riß, die Sonntagshose. Dann verlor er den Zweiten Stiefel und trat in Dornen. Er hörte sich wie einen Hund aufjaulen. das Herz klopfte ihm bis in den Hals.

Plötzlich wurde ihm bewußt, daß er den Onkel nicht mehr hinter sich keuchen hörte. Hastig schaute er sich um. Kein Onkel war zu sehen. Aber dort vor dem Gestrüpp – lag dort nicht etwas in den Farben von Onkel Bernhards Hemd, grün- und gelbkariert? Florian blieb stehen, schaute schärfer hin, kehrte unschlüssig um. Ja, wahrhaftig, dort lag Onkel Bernhard mit dem Gesicht nach unten und rührte sich nicht. Sein Arm hin ausgestreckt im Heidelbeergesträuch. Wie betäubt beugte sich Florian über ihn. „Onkel Bernhard“, flüsterte er. Der Onkel bewegte sich noch immer nicht.

Florian strich bestürzt über sein graues Haar und bat: „Steh doch auf, Onkel Bernhard – bitte, bitte steh auf.“ Aber der Onkel stand nicht auf. Da wurde Florian ganz heiß vor Schreck. Er fing an zu weinen. „Bist du tot?“ schluchzte er. „Ach bitte, sei doch nicht tot!“ Er streichelte Onkels Haar, das grüngelbkarierte Hemd, die schlaffe Hand. Er weinte immer lauter und verzweifelter. Aus der Hitze wurde Kälte. Er schlotterte. Seine Zähne klapperten vor Entsetzen. „Du kannst doch nicht einfach tot sein“, heulte er. Da richtete sich der Onkel langsam auf und drehte sich um. In seinem Gesicht klebten Tannadeln und Moosflöckchen. Florian starrte ihn entgeistert an. „Du lebst ja“, flüsterte er.

„Nein“, sagte der Onkel. „Ich bin tot. Ich bin von einer Kugel getroffen worden. Es hat mich einer erschossen, der auch Onkel von so einem Jungen ist. Es war ein netter Mensch – einer der im Frieden nie auf den Gedanken käme, jemanden umzubringen. Wollen wir weiter spielen?“

„Nein“, stammelte Florian, „mir langt’s.“ „Mir auch“, sagte der Onkel.

Schweigend suchten sie nach Florians Stiefeln. Den einen fand Florian, den anderen der Onkel. Dann machten sie sich auf den Heimweg. „Unser Krieg hat knapp zwölf Minuten gedauert“, stellte der Onkel fest. Florian schaute erstaunt zu ihm auf. Ihm war es endlos vorgekommen. „Wollen wir morgen wieder Krieg spielen?“ fragte der Onkel. „Nein“, antwortete Florian hastig, „keinen Krieg. Gar nichts mehr mit Krieg.“ „Ich hab dich vorhin übel behandelt“, sagte der Onkel. „Es ist mir nicht leicht gefallen. Aber ich hab’s getan, weil ich dich mag. Ich will dir begreiflich machen, wie der Krieg wirklich ist.“ „Ich hab so Angst vor dir gehabt“, schnaufte Florian und zog die Nase hoch. „Du hast ausgesehen wie ein Tier, als du mit dem Knüppel hinter mir her gerannt bist.“ „Im Krieg werden die Menschen zu Tieren“, sagte der Onkel ernst. „Und nachher hab ich Angst um dich gehabt, weil ich dachte du seist wirklich tot.“ „Im Krieg ist so ein Tod alltäglich. Ich habe damals kaum mehr hingeschaut, wenn ich Tote am Wegrand liegen sah. Für dich soll der Tod nicht alltäglich werden. Ich will, daß du beide Arme behältst. Dich soll kein Panzer zermalmen, keine Bombe zerfetzen, kein Schuß treffen. Du und alle, die wir liebhaben, sollen unversehrt leben können. Und wenn du ein Held sein willst, findest du auch im Frieden Gelegenheit dazu.“

Florian schob seine Hand in die Hand, die seinem Onkel geblieben war, und sagte: „Ich wollte, du hättest noch deine andere Hand.“ „Ich hab ja noch Glück gehabt“, sagte der Onkel. „Du siehst: Zur Not kann man auch mit einer einzigen Hand zurecht kommen. 60 Millionen Menschen haben im letzten Krieg ihr Leben verloren. Darunter waren sicher auch ein paar tausend solcher Jungen wie du.“

Das letzte Stück des Weges schwiegen sie. Zwischen Koppelzaun und Hof sagte der Onkel: „Ich glaube, deine Mutter bekäme einen Schreck, wenn sie dich so sähe. Warte hier, bis ich ihr alles erklärt habe. Ich fürchte, sie wird wütend auf mich sein. Sie weiß ja nichts vom Krieg. Sie ist erst nach dem Krieg geboren worden.“ „Ich weiß schon, was sie sagen wird!“, meinte Florian.

„Das arme Kind. Es kann eine Lungenentzündung bekommen!“ Und was für ein Jammer um Hemd und Hose!“ „Ich werd ihr versprechen, dir ein neues Hemd und eine neue Hose zu kaufen“, sagte der Onkel, „und ein großes Paket Papiertaschentücher. Das ist mir die Sache wert. Wenn ich pfeife, ist das Donnerwetter vorbei, dann kannst du kommen.“ Als der Onkel ein paar Schritte gegangen war, rief ihm Florian nach: „Danke, daß du mir den Krieg gezeigt hast!“

Arbeitsangebote mit der Geschichte:

a) Gruppenarbeit mit Textpuzzlen

Erzählt den Teil der Geschichte, der zu euerm Textpuzzle gehört!

(Textpuzzle fett gedruckt auf Kärtchen schreiben und in Kleingruppen verteilen)

b) Welche Kriegsszene hat euch am meisten bewegt?

c) Fasse zusammen, was Florian jetzt vom Krieg weiß!

d) Wie hast du zum ersten Mal vom Krieg erfahren? Wer hat dir darüber erzählt?

5.2.3 Arbeitshilfe Materialdienst, Speyer 2003

Materialdienst für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kindergottesdienst- und Kindertagesstättenarbeit der Ev. Kirche der Pfalz, Sommer 2003

„Friedenserziehung, Gewaltüberwindung, Umgang mit Kriegs- und Terrorängsten“

5.2.4 Medien zum Thema Frieden/Gewalt (für 10-12-Jährige)

a) aus der EMZ Sachsen:

  • Mit Waffen spielt man nicht (Ton auf CD): TB0099
  • „… und im Krieg, da sterben viele Menschen“ VF0297
  • Kunst gegen Krieg und Gewalt: DS0279
  • Invictus: DV028
  • Dienst am Menschen — Dienst am Frieden: VF0930
  • Gandhi-Film: VF0540
  • Ein Weg zum Nachbarn: VF0692

(TB = Ton-Bild-Serie; DS = Diaserie; VF = Video; DV= DVD)

b) aus der Friedensbibliothek des ÖIZ Dresden:

  • DVD „Lost Children“
  • M2.2 (Thema Kindersoldaten) http://www.oeiz.bbwork.de und
  • Bilder von Kindersoldaten

M 1 aus: Themenheft „Schwerter zu Pfugscharen7

M 1.1: Wie soll man sich nur entscheiden… ?

Es ist Sommer 1988 in Leipzig. Sabine freut sich schon sehr auf die Sommerferien und den Ostseeurlaub mit ihren Eltern und ihrem großen Bruder Daniel. Da kann sie endlich in Ruhe ihr Lieblingsbuch lesen, im Meer baden, Eis essen, und dann wieder lesen, baden und essen – den ganzen Tag. Doch jetzt muss Sabine erst einmal noch die letzte Schulwoche hinter sich bringen: Nur noch fünf Tage…

Endlich ist der letzte Schultag gekommen. Alle Schülerinnen und Schüler haben ihr Pionierhemd und Pionierhalstuch angezogen, da es heute Zeugnisse gibt. Die Lehrerin begrüßt sie: „Für Frieden und Sozialismus. Seid bereit!“, und alle antworten: „Immer bereit!“. Dann setzten sich die Mädchen und Jungen. Sabine ist schon ganz aufgeregt, obwohl sie weiß, dass sie eigentlich keine Angst haben muss. Nur in Musik und Sport hat sie ein paar schlechte Noten bekommen: Ob es für eine Drei gereicht hat?

Endlich hält Sabine ihr Zeugnis in der Hand: Es hat zum Glück gereicht! Am Ende der Stunde singen alle Schülerinnen und Schüler noch ein Pionierlied. Als die Klassenlehrerin die Klasse gerade verabschieden will, fällt ihr noch etwas Wichtiges ein: „Ach ja, ehe ich es vergesse: Nächstes Jahr beginnen für euch die Jugendstunden für die Jugendweihe. Gebt diesen Zettel bitte euren Eltern und bringt ihn nach den Ferien unterschrieben zurück.“

Sabine steckt den Zettel in ihre Schultasche und läuft nach Hause. Die Eltern freuen sich über das Zeugnis und schenken ihr ein neues Buch. Sie packt es zusammen mit ihrem Lieblingsbuch in die Reisetasche fährt mit ihren Eltern und ihrem großen Bruder in den Urlaub. Endlich kann Sabine den ganzen Tag lesen, im Meer baden und Eis essen. Es ist ein wunderschöner Sommer.

Am letzten Ferientag sitzt Sabine in ihrem Zimmer und packt ihre Schultasche. Sie freut sich auf das neue Schuljahr. In allen neuen Schulbüchern hat sie schon neugierig geblättert und ihren Namen hinein geschrieben. Sogar ein neues Fach gibt es in der 7. Klasse. „Staatsbürgerkunde“ heißt es. Sabine hat noch keine Ahnung, was genau das sein soll. „Beeile dich“, ruft Papa aus der Küche, „Oma und Opa kommen nach dem Gottesdienst vorbei, und da soll das Essen auf dem Tisch stehen.“ Sabine räumt ihre Bücher in die Tasche und findet einen zusammengeknüllten Zettel. Sie erinnert sich und rennt in die Küche: „Ach ja, den sollten wir ja unterschreiben lassen.“

Nun sitzen alle am Mittagstisch und Papa spricht ein Tischgebet, was er eigentlich nur macht, wenn Oma und Opa da sind. Bevor sie mit dem Essen anfangen, gibt Sabine noch schnell den Zettel ihrer Mutter. Die Mutter liest laut vor:

„Liebe Eltern! Im kommenden Schuljahr beginnen die Jugendstunden für die Jugendweihe, die wir im Klassenverband besuchen werden. In dieser Zeit wollen wir Arbeiter in Betrieben besuchen, Vorträge über gesundes Leben hören, über Frieden und Sozialismus reden und uns auf das Erwachsenenleben vorbereiten. Geplant ist auch eine Fahrt in das Konzentrationslager Buchenwald, um an die verfolgten Kommunisten des Hitlerfaschismus zu erinnern. Zu dem Festakt, der im Theater unserer Stadt am 30. Mai 1989 um 10 Uhr stattfinden wird, werden die Kinder dann gemeinsam das Gelöbnis sprechen. Dazu können Angehörige gern einladen werden. Geben Sie Ihrem Kind diesen Zettel bitte …“

„Das ist ja wie bei den Nazis“ knurrt Opa, doch ehe er weiterspricht, fällt ihm die Mutter ins Wort: „Nicht vor den Kindern! Außerdem bin ich der Meinung, dass Sabine wie alle in ihrer Klasse Jugendweihe machen soll“, und der Vater fügt noch hinzu: „Wir wollen, dass Sabine keine Probleme bekommt und später einmal studieren kann. Wir denken, es ist das Beste, sie geht erst einmal zur Jugendweihe, und ein Jahr später kann sie dann immer noch Konfirmation machen. So haben wir es bei Daniel auch gemacht.“ Auch die Mutter kann gut verstehen, dass es Jugendliche gibt, die sowohl Konfirmation als auch Jugendweihe machen. Für sie ist das eine Frage der Entscheidung. Sie selbst hatte sich als Schülerin für die Konfirmation entschieden. Sie wusste, dass das Folgen haben würde: Sie durfte kein Abitur machen. Stattdessen ging sie dann auf eine kirchliche Ausbildungsanstalt und wurde Krankenschwester in einem christlichen Krankenhaus. Gern hätte sie Medizin studiert, was sie heute manchmal bereut. Aber ihren Glauben verleugnen wollte sie damals nicht.

Oma stimmt ihrer Tochter zu, denn auch sie findet, dass man Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen. Das stünde jedenfalls in der Bibel (Apostelgeschichte 5,29). „Ja, aber“, wirft Papa ein, „steht nicht auch in der Bibel, dass jedermann der staatlichen Gewalt untertan sein soll, da sie von Gott eingesetzt ist?“ (Römer 13) Irgendwie waren nun alle außer Opa der Meinung, dass man einen Kompromiss finden muss und Sabine selber entscheiden solle. Plötzlich starren alle auf Sabine, die überhaupt nichts kapiert hatte: „Was ist denn eigentlich Jugendweihe? Und was ist Konfirmation? Und was hat das mit den Nazis und der Bibel zu tun?“

Aufgaben:

  1. Verfasse drei kurze Antworten, die die Großeltern, die Mutter und der Vater auf Sabines Fragen geben könnten.
  2. Sabine weiß nicht, wie sie sich entscheiden soll. Am Abend liegt sie im Bett und schreibt in ihr Tagebuch. Verfasse diesen Tagebucheintrag.
  3. Sabine fragt ihren großen Bruder Daniel, was sie machen soll. Schreibe auf, welchen Rat du ihr an Daniels Stelle geben würdest.
  4. Beschreibe drei Gemeinsamkeiten und drei Unterschiede zwischen Sabines letztem Schultag und dem Tag, an dem du dein Zeugnis bekommst.
  5. Nenne mögliche Gründe, warum die Mutter zum Großvater sagt: „Nicht vor den Kindern!“

M 1.2 Schwerter zu Pflugscharen umschmieden

Sabine hat sich nach den Sommerferien entschieden, in den Konfirmandenunterricht zu gehen. Sie hat sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Jeden Dienstag geht sie nun am Nachmittag ins Gemeindehaus. Dort trifft sie zehn andere Jugendliche, die sie allerdings kaum kennt, da sie aus der ganzen Stadt zusammenkommen. Aus ihrer Klasse ist nur Peter da. Er ist der Sohn der Pfarrerin, die den Konfirmandenunterricht hält.

Die Konfirmanden haben sich am Anfang der Konfirmandenzeit gewünscht, über das Thema „Krieg und Frieden“ zu sprechen. Die Pfarrerin hat ihnen daher heute das folgende Bild mitgebracht:

Logo Schwerter zu Pflugscharen

Aufgabe:

  1. Beschreibe mit wenigen Worten einen Bauernhof und die Verwendung von Pflugscharen auf einem Feld.
  2. Nenne Situationen, in denen Menschen Schwerter oder andere Waffen benutzen.
  3. Beschreibe die Tätigkeit eines Schmiedes, der in seiner Werkstatt arbeitet.
  4. Erkläre die Forderung, Schwerter zu Pflugscharen umzuschmieden, mit eigenen Worten.
  5. Male in die Mitte ein Bild, das zu der Forderung „Schwerter zu Pflugscharen“ passt.

M 1.3 Keine Gewalt

Nachdem Sabine das Symbol „Schwerter zu Pflugscharen“ kennengelernt hat, sprechen die Jugend-lichen im Konfirmandenunterricht über die Bergpredigt. Die Bergpredigt ist eine wichtige Rede, die Jesus einige Zeit vor seinem Tod vor einer großen Menschenmenge gehalten hat. Die Pfarrerin meint, dass Jesus in dieser Rede Dinge fordert, die Menschen nur zum Teil einhalten können. Andere Forderungen seien demgegenüber nur schwer oder überhaupt nicht umzusetzen. „Was genau meint sie damit?“, fragt sich Sabine, als sie den folgenden Text liest:

Jesus Christus spricht: Ihr habt gehört, dass gesagt ist (2.Mose 21,24): „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar. Und wenn jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock nehmen, dem lass auch den Mantel. Und wenn dich jemand nötigt, eine Meile mitzugehen, so geh mit ihm zwei. Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht ab von dem, der etwas von dir borgen will. Ihr habt gehört, dass gesagt ist: „Du sollst deinen Nächsten lieben“ (3.Mose 19,18) und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Be-sonderes? Tun nicht dasselbe auch die Heiden? Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist. (Mt 5,38-48, Lutherbibel 1984)

Aufgaben:

  1. Beschreibe kurz drei Situationen, in denen eine Ohrfeige richtig ist, man einem Menschen den Mantel wegnehmen darf und man jemanden zwingen kann, die Schultasche zu tragen.
  2. Lies die Bergpredigt und untereiche die Forderungen, die deiner Meinung nach möglich sind (grün), die schwer umgesetzt werden können (blau) und die unmöglich sind (rot).
  3. Die Pfarrerin meint, dass die Forderung „Schwerter zu Pflugscharen“ aus der Bergpredigt stammen könnte. Nimm zu dieser Aussage begründet Stellung.
  4. Beschreibe eine Situation, in der es Menschen schwer fällt, einen anderen Menschen zu lieben.
  5. Verfasse eine Bergpredigt für unsere Zeit. Gehe dabei vor allem auf die Forderung ein, seine Feinde auch in schwierigen Situationen zu lieben.

M 1.4 Ärger mit der Schule und dem Staat

Heute ist ein besonderer Tag im Konfirmandenunterricht, denn die Pfarrerin hat extra zwei Ge-meindeglieder eingeladen: Frau Keitel und Herrn Hühneburg. Schon in der letzten Stunde hatte die Pfarrerin erzählt, dass Frau Keitel Anfang der 1980er Jahre Ärger mit ihrer Klassenlehrerin bekam, weil sie den Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ in der Schule auf ihrer Jacke getragen hatte. Herr Hühneburg lehnte den Wehrdienst mit der Waffe ab. Außerdem schnitzte er einen Stempel mit dem Symbol „Schwerter zu Pflugscharen“, um das Symbol auf Postkarten zu drucken Nun sitzen beide im Konfirmandenraum des Gemeindehauses, und alle sind gespannt, was sie zu erzählen haben.

Aufgabe:

  1. Beschreibe Situationen, in denen man heute Ärger mit der Schule oder dem Staat bekommen kann.
  2. Nenne begründete Vermutungen, warum Frau Keitel Ärger mit ihrer Klassenlehrerin bekam und Herr Hühneburg den Wehrdienst mit der Waffe ablehnte.
  3. Formuliere zehn Fragen, die du einem der beiden Zeitzeugen gern stellen würdest.
  4. Interviewe einen Zeitzeugen (alternativ: Recherchiere im Internet und stelle eine Person vor, die wegen des Symbols „Schwerter zu Pflugscharen“ Ärger bekam und/oder in der DDR den Wehrdienst verweigert hat.) Mögliche Suchbegriffe für eine Suchmaschine: Akteure der Friedlichen Revolution, …

M 1.5 Mögliche Fragen für eine Person, die in ihrer Schulzeit in der DDR den Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ getragen hat

  1. Haben Ihre Eltern/Freunde die Aktion „Schwerter zu Pflugscharen“ damals unterstützt?
  2. Haben Sie jemals an Protestaktionen teilgenommen?
  3. War „Schwerter zu Pflugscharen“ damals das Hauptthema in der Jungen Gemeinde?
  4. Hatte das Tragen des Aufnähers irgendwelche Konsequenzen für Sie?
  5. Gab es Unterschiede zwischen Mann und Frau hinsichtlich der Konsequenzen?
  6. Gab es unter den Schülern damals Auseinandersetzungen z.B. mit Jugendlichen der FDJ?
  7. Wie weit haben Sie sich für die Friedensbewegung eingesetzt?
  8. Wie sind Sie zur Friedensbewegung gekommen?
  9. Haben Sie sich „mutig“ dabei gefühlt bzw. hatten Sie manchmal Angst beim Tragen des Aufnähers?

M 1.6 Mögliche Fragen für einen Kriegsdienstverweigerer in der DDR

  1. Warum haben Sie den Kriegsdienst verweigert?
  2. Woher wussten Sie von der Möglichkeit, den Wehrdienst mit der Waffe zu verweigern und stattdessen als Bausoldaten in der Armee zu dienen?
  3. Welche Auswirkungen hatte Ihr Dienst als Bausoldat?
  4. Was waren die Aufgaben eines Bausoldaten?
  5. Haben Sie die Entscheidung Bausoldat zu werden jemals bereut?
  6. War der Dienst als Bausoldat eine wirkliche Alternative für Sie?
  7. Hatten Sie bei Ihrer Entscheidung sich für den Dienst als Baussoldat zu verpflichten ein Vorbild?

Zusätzliche Fragen:

M 2 Arbeitsblatt: Fragen zu Krieg und Frieden

1. Warum ist Krieg?

2. Male ein Bild zum Krieg oder beschreibe ein Bild, das Du vom Krieg gesehen hast.

3. Wie ist Frieden?

4. Ordne die Wörter in die Tabelle zu Krieg und Frieden ein.

Du findest sicher noch weitere Wörter.

Tabelle zu Krieg und Frieden

Soldaten – Blumen – Waffen – Familie – Freunde – Bomben – hassen – schießen – siegen – singen – zerstören – weinen – bauen – beten – töten – lieben – Jesus – Feinde – Ruinen – Gott – Raketen – sich freuen – singen – spielen

5. Was denkst Du über den Krieg?

6. Was denkst Du über den Frieden?

M 3 Text: Aus den Flugblättern der „Weißen Rose“8

Leistet passiven Widerstand, Widerstand, wo immer Ihr auch seid, verhindert das Weiterlaufen dieser atheistischen Kriegsmaschinerie, ehe es zu spät ist, ehe die letzten Städte ein Trümmerhaufen sind.

Seit der Eroberung Polens (sind) dreihunderttausend Juden in diesem Land auf bestialische Art ermordet worden. Hier sehen wir das fürchterlichste Verbrechen an der Würde des Menschen. Sollen wir auf ewig das von aller Welt gehasste und ausgestoßene Volk sein? Nein! Entscheidet Euch, ehe es zu spät ist!

Trennt Euch rechtzeitig von allem, was mit dem Nationalsozialismus zusammenhängt!

M 4 Lieder

„Sing das Lied vom großen Frieden“
Text: Johannes Thiele, Melodie: Ludger Edelkötter
Aus: Mein Liederbuch 2, tvd 1992 B 205

„Friede, Friede, Friede sei mit dir“
Text und Melodie: Manfred Siebald, in „Singt von Hoffnung“ Nr. 68

M 5 Gedichte9

Alptraum
Ich sehe Häuser in Flammen steh’n,
ich sehe Menschen auf Krücken geh’n.
Ich höre Kinder vor Hunger schrei’n,
das kann nur das Grauen des Krieges sein.
Ich renne.
Ich renne und höre das Bersten und Krachen,
verstummt ist das laute Kinderlachen.
Ich höre Sirenen von nah’ und weit,
das sind Erinnerungen aus meiner Mutter Kinderzeit.
(Dirk Sch., 10 Jahre)

Bitten der Kinder
Die Häuser sollen nicht brennen,
Bomber sollt man nicht kennen.
Die Nacht soll für den Schlaf sein.
Leben soll keine Straf sein.
Die Mütter sollen nicht weinen.
Keiner soll müssen töten einen.
Alle sollen was bauen.
Da kann man allen trauen.
Die Jungen sollen’s erreichen.
Die Alten desgleichen.
(Bertold Brecht)

M 6 Lied „Frieden für die Welt“

Noten zum Lied Frieden für die Welt

Melodie und Text: Dieter Trautwein



Fußnoten

1 D. Käbisch, J. Träger: „Schwerter zur Pflugscharen“, EVA, Leipzig 2011, Seite 9-10

2 Um Allgemeinbildung zu erreichen, muss Bildung im Medium des Allgemeinen anhand von epochaltypischen Schlüsselproblemen stattfinden. Zu diesen zählen Frieden, Umwelt, Leben in der einen Welt, Technikfolgen, Demokratisierung, gerechte Verteilung in Welt, Gleichberechtigung/Menschenrechte und Glücksfähigkeit. Sie sind nicht vollständig und müssen veränderbar bleiben.
Wolfgang Klafki, zitiert nach http://wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Klafki, 29.11.2012, 11 Uhr

3 Käbisch, J. Träger: „Schwerter zur Pflugscharen“, EVA, Leipzig 2011, Seite 11-21

4 Themenblatt zum „Rahmenplan – Kirchliche Arbeit mit Kindern“, Dieter Reiher, in: Praxis Gemeindepädagogik“ 2-2009, www.praxis-gemeindepädagogik.de (mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlages)

5 Aus: Watkinson, Gerd: 77 Spiel- und Tanzlieder zur Bibel, Lahr/Freiburg 1979, Nr.75

6 Von Herbert Gerhardt, aus „Glaube und Heimat“, Ev. Sonntagsblatt für Thüringen, 2.9.1979

7 aus: Frieden kommt nicht von allein, Ravensburg 1981

7 aus: D. Käbisch, J. Träger: „Schwerter zu Pflugscharen“, S. 34-47, EVA Leipzig 2011 (mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlages)

8 Scholl, Inge: Die Weiße Rose, Berlin 1982, Seite 76, 80, 91f.

9 Aus: Abraham, Peter u. a.: Ich leb so gern. Ein Friedensbuch für Kinder, Berlin