Konzeption – Friedensethik in Schule, Gemeinde und Jugendarbeit

Präambel

Die vorliegende Konzeption1 beschreibt die aktuellen friedenspädagogischen Herausforderungen aus der Sicht verschiedener Arbeitsfelder mit dem Ziel, die friedensethischen Akzente in Schule und Jugendarbeit zu stärken und Formen der zivilen, gewaltfreien Konfliktbearbeitung bekannt zu machen.

Die Konzeption nimmt Anregungen der Friedensdenkschrift des Rates der EKD auf und reagiert auf die Notwendigkeit, den Diskurs über friedensethische Themen in einer großen Breite zu führen, in der gegenwärtigen Situation jedoch die Vertreter der Bundeswehr häufig die einzigen Referenten in Schule und Jugendarbeit zu friedensethischen Themen sind.

1. Biblisch-theologische Vergewisserung und ausgewählte Traditionslinien

Frieden ist ein Heilsgut und beschreibt das Ziel Gottes mit den Menschen. Frieden ist ein besonderes Kennzeichen der Beziehung zwischen Gott und den Menschen sowie der Menschen untereinander. Frieden ist kein politisches oder sozial-ethisches Thema, das zum Evangelium hinzutritt, sondern Wesensmerkmal des Evangeliums.

Das biblisch-theologische Friedenszeugnis hat eine mehrdimensionale Gestalt, die sich auch in den verschiedenen Inhalten der Friedenserziehung und Friedensbildung wiederfinden wird:

  • gerechter Frieden – Schalom – als das umfassende Verständnis von Frieden
  • Frieden als Gottes Verheißung (Gen. 9, 8-17 / Micha 4)
  • Frieden als Machtverzicht und als Überwindung von Gewalt (Abigail – 1. Samuel 25 + Jesu Gefangennahme Matth. 26, 47-56)
  • Frieden ist im Versöhnungshandeln Gottes ermöglicht: „Jesus Christus ist unser Friede“(Epheser 2, 13 f.)
  • Den Frieden zu suchen, zu wahren und zu fördern ist Christen aufgegeben: „… suche Frieden und jage ihm nach“ (1. Petrus 3, 11)
  • Gewaltfreie Konfliktlösungsmechanismen haben Vorrang: „Selig sind die Frieden stiften, denn sie werden Kinder Gottes heißen“(Matthäus 5; 9. 38-42)
  • Gottes Frieden eröffnet eine andere Perspektive auf die Welt: „Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft …“ (Phil. 4, 7)
  • Das biblische Zeugnis nimmt die Realität der Gewalt wahr. (Kain und Abel )
  • Kirche als Ort des Friedens und des Machtverzichts (Markus 9, 50)
  • Menschenwürde als Ausdruck der Gottebenbildlichkeit realisiert sich in Menschenrechten und ist Voraussetzung und Ausdruck des Friedens.2

Im Selbstverständnis der Kirche ist das Interesse an der Friedensfrage theologisch und nicht primär politisch begründet. Mit den Begriffen „Friedenszeugnis und Friedensdienst“ hatten die Kirchen in der DDR seit den 60er Jahren eine theologische Argumentationsfigur entwickelt, die die Arbeit am Thema Frieden eng mit dem biblischen Friedenszeugnis verknüpfte und sie damit der politischen Instrumentalisierung durch die DDR entzog.

Der Friedenserziehung wurde in den Kirchen in der DDR eine große Bedeutung beigemessen, an der die vorliegende Konzeption ebenso anknüpft wie am weltweiten konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, der seine Wurzeln auch im Aufruf Dietrich Bonhoeffers zu einem ökumenischen Friedenskonzil 1934 hat und in den Ökumenischen Versammlungen in Dresden – Magdeburg – Dresden 1988/1989 fortgeführt wurde3.

Die 10. Ökumenische Vollversammlung des ÖRK im Herbst 2013 in Busan/Südkorea steht unter dem Motto „Gott des Lebens, weise uns den Weg zu Gerechtigkeit und Frieden“. Sie gibt den Dimensionen des „gerechten Friedens“ höchste Priorität.

Das Leitbild des „gerechten Friedens“ findet sich ebenso in der Friedensdenkschrift des Rates der EKD aus dem Herbst 2007, die dazu auffordert, der zivilen Konfliktbearbeitung Vorrang zu geben und die Friedensbildung zu stärken.

Zu den Aufgaben evangelischer Friedensarbeit gehört es, sich in die aktuelle friedensethische Diskussion auf dem Hintergrund theologischer Überlegungen einzubringen. Das sollte auch auf dem Feld der Friedensbildung bzw. -pädagogik geschehen.

Beispielhaft für den gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskurs – in den auch die evangelische Kirche ihre Stimme einzubringen hat – seien genannt:

  • die Verbindung von Gerechtigkeit und Frieden
  • das Verständnis von Sicherheit,
  • das Verhältnis von globalen und nationalen Interessen,
  • das Konzept der Schutzverantwortung und seine Umsetzung sowie
  • die Frage, wie der Vorrang des Zivilen gestaltet werden kann.

Einige der aktuellen Herausforderungen werden im folgenden Abschnitt näher beschrieben.

2. Notwendigkeiten und aktuelle Herausforderungen

2.1 Die Entwicklungen der letzten 20 Jahre in Deutschland, Europa und der Welt

Die Konzeption beschränkt den Blick auf die aktuellen Herausforderungen für friedensethische und friedenspädagogische Bildung auf folgende vier Punkte:

Die komplexe Konfliktlage weltweit

Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes ist es nicht zur erhofften Abrüstung und zu einer Besinnung auf die Mittel der zivilen Konfliktbearbeitung gekommen. Vielmehr sind nach dem Heidelberger Konfliktbarometer4 für das Jahr 2011 weltweit 38 größere bewaffnete Konflikte bzw. Kriege und eine Zahl von 148 gewaltsamen Auseinandersetzungen sowie 87 nicht gewaltsame Krisen zu verzeichnen. Im Langzeittrend betrachtet steigt die Zahl der Krisen und Gewaltkonflikte seit 1990 kontinuierlich an.

Die Konfliktursachen, -inhalte und -verläufe sind sehr komplex, so dass auch die Mitte der 90er Jahre entwickelten Konzepte der „ethnopolitischen Konflikte“5 oder der „Neuen Kriege“6 zur Beschreibung der Konflikte weiter zu entwickeln sind. Überwiegend werden die Konflikte innerstaatlich ausgetragen, wobei die globale Verflechtung und regionalpolitische Einbettung oftmals wichtige Einflussfaktoren sind. In die Konflikte sind staatliche und nichtstaatliche Akteure bis hin zu terroristischen Gruppen oder Einzeltätern involviert. Die Grenzen zur Zivilbevölkerung sind daher oft fließend und Zivilisten sind in einem erschreckenden Maß von den Auswirkungen direkt betroffen.

Die Rolle Deutschlands in der internationalen Politik und die aktuellen gesellschaftlichen Debatten

Der mit der Wiedervereinigung gewachsene deutsche Staat sieht sich aktuell in gewachsener inter-nationaler politischer Verantwortung und ist vor dem Hintergrund seiner exportorientierten Wirtschaft mit geopolitischen Interessen international politisch präsent. Staatliches Agieren ist dabei eng in Partnerschaften und Netzwerke (NATO, G8, EU…) eingebunden. Das deutsche Engagement umfasst dabei sowohl den zivilen als auch den militärischen Bereich.

Die Bundeswehr ist aktuell in 13 Einsätzen weltweit aktiv. Seit geraumer Zeit erfolgt der Umbau der Bundeswehr von einer auf die nationalen staatlichen Grenzen beschränkten Verteidigungsarmee hin zu einer technisch hochgerüsteten Berufsarmee im dauerhaften weltweiten Einsatz. Dies belegen auch die Neufassung der verteidigungspolitischen Richtlinien und die Überarbeitung des „Weißbuches zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr“. Die Diskussion zum Einsatz der Bundeswehr für deutsche wirtschaftliche Interessen bildete den Ausgangspunkt für den Rücktritt des Bundespräsidenten Horst Köhler im Jahr 2010.

Neben der Frage der Legitimation einer jeden konkreten militärischen Auslandsintervention ergeben sich hieraus für die deutsche Gesellschaft vollkommen neue bzw. erstmals seit vielen Jahrzehnten wieder gestellte Fragen:

  • nach der Funktionsbestimmung der Bundeswehr,
  • nach dem Berufsbild des Soldaten,
  • nach dem Einsatz der Bundeswehr im Ausland,
  • nach dem Umgang mit Opfern (sowohl deutsche Soldaten, als auch getötete Zivilisten)
  • nach dem Umgang mit Traumatisierten und
  • nach öffentlichen Ehrungen für Soldaten.

Ebenso werden die Rolle Deutschlands als drittgrößter Rüstungsexporteur sowie die immensen Kosten für den Umbau der Bundeswehr und deren Einsätze angesichts überschuldeter staatlicher Haushalte in der Gesellschaft diskutiert.

Nach Aussetzung der Wehrpflicht intensiviert die Bundeswehr ihre Aktivitäten im Rahmen der politi-schen Bildung (Arbeit der Jugendoffiziere) mit dem Ziel der Legitimation der gegenwärtigen Sicherheitspolitik sowie durch Wehrdienstberatung und intensive Werbung zur Gewinnung von Freiwilligen (Motto: „Bundeswehr – Karriere mit Zukunft“).

Unausgeschöpfte Potentiale der zivilen Konfliktbearbeitung sowie die Notwendigkeit der friedensethischen Diskussion

Zugleich mit den beschriebenen Herausforderungen haben sich fundierte Ansätze und Konzepte der zivilen Konfliktbearbeitung sowohl für den internationalen Einsatz (www.ziviler-friedensdienst.org, Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) als auch die lokale Arbeit in den Konfliktländern entwickelt. In den weltweiten Analysen und Übersichten von z.B. SIPRI (Stockholm International Peace Research Institute), AKUF (Arbeitgemeinschaft Kriegsursachenforschung der Uni Hamburg) oder dem Heidelberger Institut für internationale Konfliktforschung werden deren jeweilige Anwendung und Wirkung abgebildet. Als positives Beispiel für staatliches Handeln ist auf dem „Aktionsplan zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ der Bundesregierung aus dem Jahr 2004 zu verweisen, der auch auf EU-Ebene als beispielhaft für zivile Friedenspolitik geschätzt wird.

In der öffentlichen Wahrnehmung und politischen Diskussion sind die zivilen Ansätze allerdings kaum bekannt. Sie drohen, unter der Dominanz der „Versicherheitlichung der Politik“ gegenüber dem „Primat des Zivilen“ zurückzustehen. Explizite friedensethische Bildungsinhalte kommen selten in Lehrplänen und außerschulischen Bildungsangeboten vor.

Seit dem Wegfall der bisher durch jeden jungen Mann zu treffenden Entscheidung zu Wehrdienst oder Kriegsdienstverweigerung ist es notwendig, nach neuen Wegen zu suchen, wie das Gespräch mit jungen Menschen zu friedensethischen Fragen in inhaltlich und methodisch angemessener Weise gesucht werden kann.

Ziele und Inhalte von Friedensbildung

Das Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. benennt als Ziele und Inhalte von Friedensbildung:

  • Überwindung des Kriegsdenkens und der Rechtfertigung von Kriegen
  • Sensibilisierung gegen Gewalt
  • Vertrauen in die Fähigkeit und Bereitschaft demokratischer Gruppen, Konflikte gewaltfrei auszutragen

Die Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung nennen als Ziele:

  • friedensrelevante Vorgänge und Strukturen durch erhöhten Informationsstand transparent machen
  • kritische Rationalität bei der Meinungsbildung erhöhen
  • Motivationen und Interessenlagen von Konfliktpartnern erkennen
  • Stereotypen und Vorurteile abbauen
  • Konfliktfähigkeit erwerben und Methoden friedensfördernder Konfliktaustragung einüben;
  • Engagement in der praktischen Arbeit für den Frieden fördern.

Um von Seiten der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Sachsen auf die beschriebenen aktuellen Herausforderungen zu reagieren, bedarf es zusätzlicher Impulse in Erziehung, politischer Bildung und Gewissensbildung durch unterschiedliche Akteure. Es ist wichtig, dass im Feld von Friedensbildung und -pädagogik die christliche Friedensethik eine Stimme bekommt.

Die Jugendoffiziere der Bundeswehr, die u.a. in Schulen die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik darstellen, sollten nicht als einzige Stimme zu friedensethischen Themen gehört werden. Laut Beutelsbacher Konsens – in dem Grundsätze der politischen Bildung festgelegt sind – ist es nötig, die Themen, die in der Gesellschaft strittig sind, auch mit unterschiedlichen Akzentsetzungen in der Bildungsarbeit vorzustellen (Gebot der Kontroversität).

2.2 Zur Situation Jugendlicher heute

An Jugendliche werden hohe Ansprüche bezüglich ihres demokratischen Verständnisses und Verhaltens gestellt. Gleichzeitig wird von ihnen erwartet, dass sie Konflikte innerhalb ihrer Altersgruppe friedlich und konsensorientiert oder zumindest über Mehrheitsentscheid lösen.

Einen großen Teil ihrer Zeit verbringen Jugendliche in der Schule. Durch die Umwandlung von Halbtagsschulen in Ganztagsschulen hat sich der Aufenthalt von Jugendlichen in der Schule verlängert. Die Schließung von wohnortnahen Schulen aufgrund von Schülermangel bedingt, dass die Jugendlichen mehr Zeit für den Weg zur Schule benötigen. Somit hat sich der zeitliche Rahmen, den Jugendliche mittelbar oder unmittelbar in oder mit der Schule verbringen, erhöht. Schule nimmt heute zeitlich einen größeren Stellenwert im Tagesablauf eines jungen Menschen ein als früher.

Zugleich nehmen Jugendliche mitunter Defizite bei der Umsetzung einer demokratisch organisierten staatlichen Struktur an den Schulen wahr. Wo demokratische Elemente in der Schule vorhanden sind (Schülervertretung), können die Entscheidungen dieser Gremien noch immer durch hierarchische Weisungen außer Kraft gesetzt werden.

Auch in Kirchengemeinden ist die Mitarbeit Jugendlicher gewollt und gewünscht, aber im Konfliktfall fühlen sich die Jugendlichen mit ihren Ansichten nicht immer ausreichend gewürdigt.

Diese Erfahrungen der Jugendlichen aus ihrem Lebensumfeld haben Auswirkungen auf ihre Einstellung zu internationalen Konflikten. Sie wachsen in einem Umfeld auf, das einerseits weit entfernt ist von tatsächlich erlebtem Leid durch kriegerische Auseinandersetzungen, andererseits aber die zunehmende Beteiligung der Bundeswehr an internationalen Einsätzen als selbstverständlich betrachtet. Manche Jugendliche erinnern sich vielleicht noch an die Kriege auf dem Balkan in den 90er Jahren. Die Erinnerungskultur an den 2. Weltkrieg ändert sich gerade grundlegend, da inzwischen nur noch wenige Zeitzeugen leben. Die unmittelbare Begegnung mit Menschen, die die Schrecken des 2. Weltkrieges erlebt haben, wird bald nicht mehr möglich sein.

Gleichzeitig kommen einzelne Jugendliche wieder sehr direkt mit Menschen in Berührung, die an den Folgen von kriegerischen Auseinandersetzungen leiden. Allein im Jahr 2010 sind – nach Zahlen der Bundeswehr – über 900 Soldaten aus Auslandseinsätzen mit posttraumatischen Belastungsstörungen zurückgekehrt. Ein erheblicher Anteil der Soldaten, die im Auslandseinsatz waren, kommt aus den östlichen Bundesländern. Aufgrund dieser Zahlen ist anzunehmen, dass nicht wenige Kinder und Jugendliche im Familien- und Bekanntenkreis mit den aktuellen Folgen der Auslandseinsätze der Bundeswehr in Berührung kommen.

Zugleich machen Jugendliche auch ganz persönlich die Erfahrung mit Ohnmachts- und Gewaltsituationen. Laut Shell-Studie 2010 waren mehr als 23 % der befragten Jugendlichen innerhalb von 12 Monaten in körperliche Auseinandersetzungen verwickelt.

So erleben Jugendliche eine starke Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit in Bezug auf die friedensethischen Vorstellungen und den konkreten Umgang mit Konflikten im Nahbereich und in der internationalen Politik:

  • zwischen sieben Jahrzehnten Frieden in Deutschland und Soldaten mit Kriegserfahrung,
  • zwischen dem Anspruch des gewaltfreien Zusammenlebens und der tatsächlichen Gewalt-erfahrung,
  • zwischen dem Anspruch einer demokratischen Gesellschaft und einer oft noch hierarchisch strukturierten Schule.

Diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit spiegelt sich in den Einschätzungen Jugend-licher hinsichtlich weltweiter Konflikte und Konfliktlösungsmöglichkeiten wider. 37% der Jugendlichen halten die Auslandseinsätze der Bundeswehr für sinnvoll (Shell-Studie 2010). Leider wurden sie in der Studie nicht nach den Ansichten oder dem Wissen über zivile Konfliktlösungsstrategien gefragt. Es wird vermutet, dass nur wenige Jugendliche etwas über die Möglichkeiten der zivilen Konfliktbearbeitung wissen.

3. Inhalte / Kompetenzen in den Lehrplänen und der Bildungsauftrag der Kirche

Kirchliche Bildungsträger und andere zivilgesellschaftliche Gruppen, die sich Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung verpflichtet wissen, sind ausgewiesene Expert/innen für Bildungsprozesse, in denen es um ethische Urteilsfähigkeit und um die Bereitschaft geht, Verantwortung zu übernehmen. Ihre Lehrkräfte und Referent/innen haben eine deutlich erkennbare Position und sind zugleich geschult, verschiedene Optionen miteinander ins Gespräch zu bringen. Sie erfüllen damit die Vorgaben des Beutelsbacher Konsenses.

3.1. Ziel friedenspädagogischer Arbeit

Das Ziel friedenspädagogischer Arbeit ist es, eine fundierte Urteilsbildung für friedensethische Fragen zu ermöglichen. Dazu bedarf es analytischer Kompetenz (Informationen beschaffen und verarbeiten), personaler Kompetenz (Komplexität von Problemlagen erfassen und reflektieren), interkultureller Kompetenz (Empathie und Perspektivwechsel) und sozialer Kompetenz (Verantwortung übernehmen für sich selbst, für Mitmenschen und die Gesellschaft). Diese Kompetenzen sind in den aktuellen Lehrplänen aller Fächer im Freistaat Sachsen angelegt im Kontext von Wissenserwerb und Werteorientierung.

In Sachsen findet Friedenserziehung nicht nur im Rahmen des Themenkomplexes „Herausforderung Frieden“ statt (Geschichtsunterricht Klasse 11/12). Vielmehr werden sowohl in Mittel- bzw. Oberschulen als auch in Gymnasien fach- und jahrgangsübergreifend Themen wie Toleranz, Frieden, Gerechtigkeit oder interkulturelle Kompetenz in den Lehrplänen umfassend berücksichtigt. Insbesondere in den Fächern Deutsch, Ethik, evangelische und katholische Religion, Gemeinschaftskunde und Geschichte werden diese Themen nicht nur als spezieller Bildungsinhalt umfassend berücksichtigt, sondern auch als pädagogische Aufgabe der Lehrkräfte beschrieben.

Die schulische und außerschulische Jugend-Bildungsarbeit fördert Handlungskompetenzen, d.h. die Fähigkeit zur politischen Einflussnahme, sie ist handlungsorientiert. Hier bietet die außerschulische Jugend- und Bildungsarbeit Chancen, die handlungsorientierte politische Einflussnahme an konkreten Beispielen zu veranschaulichen und zu vertiefen.

3.2 Mögliche Lernfelder in Schule und Jugendarbeit

  • Analysen gegenwärtiger Konflikte einschließlich ihrer Entscheidungsproblematik (Dilemma-Diskussion)
  • Ansätze ziviler Konfliktbearbeitung, Gruppen und Initiativen kennen lernen
  • bisherige Militärgeschichte – kritische Geschichtsschreibung
  • Geschichte von DDR und Bundesrepublik Deutschland – besonders die Einbindung in Militärblöcke
  • friedensethische Ansätze, dabei besonders biblisch-theologische Reflexionen, aber auch Blick auf andere Religionen oder humanistische Positionen
  • Menschenrechte
  • Medienanalysen zu Konflikten und Kriegen
  • Schwerpunktthemen im Kontext der Reformationsdekade: Reformation und Toleranz (2013), Reformation und Politik (2014), Reformation und Eine Welt (2016)
  • sicherheitspolitische Optionen

3.3 Besondere Lernorte

  • Kriegsdenkmäler
  • Gedenk- und Erinnerungsstätten
  • Mahnmale in der Region
  • Friedenskirchen

3.4 Arbeitsformen und Kooperationen

Kirchliche Friedensbildungsarbeit umfasst Angebote für Schulen und für die außerschulische Ârbeit mit Kindern und Jugendlichen, aber auch Angebote für die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrer/-innen, gemeindepädagogischen Mitarbeitenden sowie Pfarrer und Pfarrerinnen.

4. Leitbild für Referentinnen und Referenten in der Friedensbildung

„Eine protestantisch orientierte Gewissenserziehung setzt sich nicht die Schärfung einer Normeninstanz bzw. die Entwicklung einer moralischen Anlage, sondern eine Befreiung und Identitätsfindung der Gesamtperson zum Ziel.“ (Reinhold Mokrosch)7

4.1 Grundsätzliche Überlegungen

Referentinnen und Referenten, die im Auftrag von kirchlichen und zivilgesellschaftlichen Trägern in der friedensethischen Bildungsarbeit tätig sind, vertreten eine deutlich erkennbare Position. Dabei sind sie durch die Grundrechte auf Meinungsfreiheit und die Freiheit des Gewissens geschützt.

Um die Schülerinnen und Schüler, die Kinder und Jugendlichen auf dem Weg zur Gewissensbildung und selbständigen Urteilsfähigkeit zu begleiten, ist es das vorrangige Anliegen, die persönliche Aneignung von Inhalten sowie die Freiheit des Denkens und der Meinung zu ermöglichen. Bildung und Erziehung haben die mündige Persönlichkeit zum Ziel. Daher ist es unabdingbar, auch den Prozess der friedensethischen Bildung in einer kommunikativen und konstruktiven Form zu gestalten, der seine Inhalte und Ziele transparent macht, kritischen Nachfragen aufgeschlossen gegenüber tritt und sich von allen Formen der Indoktrination und Suggestion fernhält. Schuldgefühle und schlechtes Gewissen sind keine Instrumente der Bildungsarbeit.

Trotzdem ist es notwendig, das Gewissen als innere Instanz zu thematisieren. Die Gewissensbildung umfasst ethisch-moralisches Wissen wie auch das Wecken der Gewissensempfindlichkeit und die Wahrnehmung emotionaler Betroffenheit. Zum Schutz der Gewissensfreiheit ist die Unterscheidung von Gewissens- und Ermessensfragen wichtig. Das Gewissen steht sowohl der Gesinnungs- als auch der Verantwortungsethik als Korrektiv und kritische Instanz gegenüber. Es bindet die Freiheit des Denkens und der Meinung in eine globale und soziale Perspektive ein.

Bei allen Bemühungen, mit der friedensethischen Bildungs- und Erziehungsarbeit zu einer gewaltfreien und konstruktiven Konfliktkultur hinzuführen, bleibt der Vorbehalt des Überwältigungsverbots. Nach dem Beutelsbacher Konsens ist es nicht erlaubt, die Teilnehmer/-innen im Sinne erwünschter Meinungen zu „überrumpeln“ und damit an der Gewinnung eines selbständigen Urteils zu hindern. Gewissensbildung vollzieht sich als personales Geschehen in einer ständigen Wechselwirkung zwischen individueller Disposition und sozialer Situation. Sie kann daher nur gestärkt und begleitet werden. Die Erziehung zur Mündigkeit und zur kritisch-unterscheidenden Urteilskraft ist dabei eine wichtige Voraussetzung der Gewissensbildung und -schärfung.

4.2 Hinweise für die praktische Umsetzung durch Referent/-innen

a) im Umfeld des Unterrichts / der Veranstaltung

  • Verantwortung, Anleitung und Aufsicht der zuständigen Lehrkraft und vorherige Absprache und Verabredung über den Verlauf der Unterrichtseinheiten
  • Vorstellung der Referent/innen und des Anliegens der Unterrichtseinheit bei den Schülerinnen und Schülern

b) Haltungen

  • offene und unvoreingenommene Haltung
  • Meinungen und Fragen ernst nehmen
  • die eigene Einstellung transparent machen
  • polemische oder diffamierende Äußerungen gegenüber anderen Personen, Institutionen oder Denkweisen vermeiden
  • auf Unterscheidung zwischen sachlicher Information und eigener Meinung achten


Fußnoten

1 Autoren und Arbeitsgruppe siehe Register 12, Impressum

2 Diese Ausführungen beziehen sich auf ein Referat von Prof. Dr. Haspel zu den systematisch-theologischen Grundlagen der Friedenspädagogik am 23.11.2011 im Rahmen eines Arbeitstreffens der AG „Friedensethik“.

3 Kirchenamt der Ev. Kirche in Deutschland (Hg.), EKD-Texte Nr. 38: Ökumenische Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, Dresden – Magdeburg – Dresden, Berlin 1991

4 Das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK) analysiert seit 1992 jährlich das globale Konfliktgeschehen. http://www.hiik.de/de/konfliktbarometer/, 15.12.2012, 11 Uhr

5 Nähere Informationen zu ethnopolitischen Konflikten u.a. bei der Bundeszentrale für politische Bildung: http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54504/ethnopolitische-konflikte, 15.12.2012, 14 Uhr

6 Zum Konzept der neuen Kriege siehe u.a.: http://www.staff.uni-marburg.de/~vonbredo/pdf/SE-Europaeische-Sicherheit_22Okt2007-2.pdf, 15.12.2012, 15 Uhr

7 Aufsatz „Erwägungen zum Gewissen – ein Plädoyer aus praktisch-theologischer Perspektive“ von OLKR Dr. Christoph Münchow, veröffentlicht im Amtsblatt der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens 22/2009